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Petra Plaum

Die Geliebte


Jetzt behaupten sie alle, diese Deutsche sei ihnen sofort suspekt gewesen. Die Chefin, der Koch, das Zimmermädchen, alle wollen sie ihr misstraut haben, von Anfang an. Mich fragt niemand, ich bin ja nur Aushilfskellner und nicht wirklich Teil dieses exklusiven Hauses. Dabei bin ich wenigstens ehrlich: Sie war nicht schlechter als die anderen, kein bisschen. Höflicher, glücklicher, ja, aber gilt das als schlechter?

"Einen Sauvignon Blanc, bitte" – raue Stimme, ein fast ungeschminktes Gesicht, das früher mal schön gewesen sein muss, die falsche Betonung, natürlich, aber wer hat die nicht. Kaum einer bestellt Soovinjo Bloon’, alle wollen sie Sauwinjong Blonk oder Sawinjon Blank und sie eben Sowinjong Blon. Und auch noch mit einem "bitte", na bitte, hört man ohnehin zu selten. Sie saß am Fenster, an diesem ersten Abend, und trug ein rotes Etuikleid. Sowas merke ich mir, rote Etuikleider sieht man heutzutage kaum noch, schade eigentlich. Wir vom Service spielen ja gern Beruferaten. Schlabbershirt plus Trainingshose plus Dreitagebart? Reisejournalist. Weite Bluse über Designerjeans, betont buntes Makeup um geliftete Augen? Unternehmergattin. Teurer Anzug, dessen Inhalt ständig am Hightech-Handy herumspielt, hier, mitten in der Funklochzone? Neureicher.

Unsere Trefferquote ist recht hoch. Nicht viele Typen Mensch zieht es in Chiles frostige Pampa, und das für 450 Euro die Nacht. Diese Frau? Für eine Journalistin zu elegant, für eine Gattin zu allein, für eine Karrierefrau zu uncool. Hände dauernd im Haar – halblang, dunkel, graue Strähnen drin –, Augen unruhig. "Geliebte", tippte Noelle, und Gonzalo meinte: "Berufsgeliebte". Wir kicherten, und dann brachten wir ihr ihren Wein und dem amerikanischen Kamerateam am Nebentisch die dritte Runde Pisco Sour und den französischen Modejournalisten in der Ecke noch eine Flasche Schampus. Die mutmaßliche Geliebte ging dann um zehn, und zwar allein.

Auch tags darauf hatte ich Spätdienst, hing nach dem Brunch noch ein wenig im Wellnessbereich rum, da entdeckte ich sie wieder. Sie watete vorsichtig in den Pool – Stufe für Stufe, ganz zitterig. Am Geländer festhalten wollte sie sich wohl nicht, hatte beide Arme um sich selbst geschlungen. Ihr war bestimmt kalt, ich sah keinerlei Polster an ihr, nur Haut und Knochen. Mich muss sie übersehen haben. Sie ließ sich nämlich ins Wasser plumpsen und jauchzte dabei wie ein Kind: "juhuuu!" Peinlich! Ich schlich mich hinaus.

Abends gab sie wieder die Grande Dame. Sie hatte erneut den Fensterplatz. Als Einzige staunte sie mit großen Augen das Panorama an, Sonnenuntergang im See vor schneebedeckten Bergen, auf den ersten Blick ziemlich imposant, kann ich versichern, doch irgendwann kitschig und Gewohnheit. Da, bitte, die Kameraleute und die Modecrew registrierten die Aussicht nicht mal mehr. Dafür studierten sie ewig die Weinkarte. Chilenische Weine sind mit die Besten der Welt, während es atemberaubende Panoramen überall gibt. Sagen jedenfalls die Stammgäste.

Sie trug wieder das Rote, trank wieder den Weißen und bedachte mich mit unzähligen Malen "bitte" und "danke". "Er hat sie sitzen lassen, jetzt baggert sie dich an", neckte Noelle. "Ich bin halb so alt wie sie!", protestierte ich. "Auf alten Stuten lernt man gut reiten", meinte Gonzalo und grinste wissend – er ist der Liebling der alleinreisenden Businessladies. Tatsächlich wurde auch sie anhänglich, doch nicht in unsere Richtung. Sie machte Liebe mit dem Hotel. Ich sah sie verstohlen das Massivholz des Tisches streicheln, am Silbergeschirr und der Leinentischwäsche herumzupfen. Und die Art, wie sie den Stiel des Kristallweinglases hielt. . . Eigenartig, doch irgendwie nett, erinnerte es doch auch mich mal wieder daran, dass hier an nichts gespart wird. Sie ging wieder sehr früh, wieder allein.

Am Vormittag des letzten Tages entdeckte ich sie in der Lobby. Wie eine Katze rollte sie auf einem der Sessel herum, schnupperte am Leder, Augen zu. Sie trug wieder das Rote, komisch tagsüber und komisch den dritten Tag in Folge, aber zugegebenermaßen kleidsam. Als sie meine Schritte hörte, fuhr sie hoch, grüßte dann, sichtlich verlegen, und huschte ins Freie.

Ich sah sie erst wieder am späten Abend. Ihr Kleid war dasselbe, doch ihr Gang. . . diesmal schwebte sie förmlich in den Speisesaal. Die Haare hatte sie hinten zusammengesteckt, sodass das Grau nicht mehr auffiel, ihr Mund grinste breit, und die Augen hatten ihre Traurigkeit abgelegt. "Hallo, schöne Frau, sprechen Sie deutsch?" – Ein Neuzugereister winkte sie an seinen Tisch, stoppelgesichtig, übergewichtig, den Bierbauch in ein Werbe-T-Shirt gequetscht, offensichtlich Reisejournalist. Um ihn herum schlürfte ein halbes Dutzend ähnlich uneleganter Herren Importbier. Doch, oh Wunder! Sie nahm dort Platz. Bierbauch, offenbar der Rädelsführer, plauderte sofort auf sie ein. "Sie sind ja bestimmt ‘ne Pressekollegin, also stellen wir uns mal vor. Wir machen hier drei Tage auf Chile-Cowboy, mit dem Pferd durch Patagonien, einsame Picknicks, Aug’ in Aug’ mit den Gletscherlawinen und so weiter. Erster Eindruck ist ja ganz nett, Landschaft so ähnlich wie Schottland und der Baustil des Hotels erinnert mich an eins dieser Luxusteile in Fairbanks, Alaska. Chilenischer Wein is’ auch nicht übel, fast so gut wie der australische, während der griechische ja nur in Griechenland mundet, haha".

Der Typ sprach so laut, dass sogar Noelle an der Theke ihn verstand. Sie verdrehte die Augen. "Ich hab die ganze Welt gesehen, tatata", imitierte sie Bierbauch. "Herr Ober! Bitte sieben Pisco!" rief der prompt in meine Richtung. Als ich die servierte, hing Bierbauch schon fast auf der Frau drauf. "War’n ‘se schon in Lappland? Seehr kalt. Müssen ‘se nicht sehen. Südafrika! Bloß nicht, zu billig geworden. Da treff’ ich ja meine Putzfrau, da kann ich gleich zuhause bleiben, hahaha." Die Kollegen lachten mit ihm, die Frau lächelte verhalten, sagte aber nichts. Dabei hätte ich sie wirklich gerne mal gehört, länger, meine ich. Ich rannte dann mit immer neuen Gerichten an den Tisch, wo ich umständlich herumpusselte, Wein nachfüllte, Piscogläser austauschte, Teller entnahm, aber immer hörte ich nur Bierbauch. Sie nie.

Beim Dessert angekommen, schwieg Bierbauch endlich. Ich hob den Blick und sah ihn flüstern, ganz dicht an ihrem Ohr. Dauernd fingerte er an ihr rum, in ihrem Haar, an ihrer Schulter. Sie lächelte und lächelte, und als die Runde sich gegen eins auflöste, hakte sie sich bei ihm unter. Noelle und Gonzalo grinsten sich vielsagend an, als beide den Saal verließen, in Richtung seines Zimmers die Treppe hinaufgingen. Ich brauchte in jener Nacht lange, bis ich einschlafen konnte.

Kurz später wurde ich von aufgeregtem Rufen vieler Stimmen wach. "Was’n hier los?" murmelte ich verschlafen, als ich in die Lobby kam. Die Chefin, das Zimmermädchen, der Bierbauch, mehrere Polizisten – alle schrien sie durcheinander. Noelle klärte mich auf: "Die Geliebte! Aus Deutschland! Hat sich in ihrem Zimmer aufgehängt! Tot!" Verständnislos starrte ich Bierbauch an, der auf die Polizisten einschrie: "Yes, I have sleep! SLEEP! She was in my room, but later she left, and then I sleep." Ich konnte es zunächst nicht fassen: "Ja, aber, sie wirkte doch gestern abend so glücklich? Sie war doch glücklich hier?"

Die Hintergründe erfuhren wir alle erst Tage später. Deutsche Reporter reisten an, diesmal die Klatsch- statt der Reisepresse. Ein verlotterter Dicker, Bierbauch optisch nicht unähnlich, wurde eingeflogen, von der Journaille bestürmt, vorm Hotel postiert, gefilmt, fotografiert. Kurz später lasen wir in der BILD, dass er ihr Exmann gewesen war. "Sozialhilfeempfängerin? Spreche ich das richtig aus?" Noelle sah mich fragend an. Ich riss ihr die Zeitung weg und fasste zusammen: "Sie war arbeitslos. Hat die Reise gewonnen. Bei einem Preisausschreiben in so ‘nem Weibermagazin. Koffer, Kleid und Schuhe hatte sie aus der Kleiderkammer, sagen Nachbarn. Das war ihre erste und letzte Reise. Ihr Ex kriegte den Abschiedsbrief: Ich komme nicht zurück." Bierbauch war also aus dem Schneider, schade, denn bei dem Schund, den er über Chile hinschmierte, hätte ich ihm den Knast doppelt gegönnt.

Die Chefin sponsert inzwischen keine Gewinnspiele mehr, wer weiß, was da für Gesindel Einzug hält, sagt sie. In letzter Zeit ist auch so immer ausgebucht, vor allem die Selbstmordsuite. Wenige Unternehmer zurzeit, kaum Presse mehr, uns kennen ja nun schon alle, viele Neureiche, aber Hauptsache, das Geld fließt. Kann mir auch egal sein, bin ja nur Aushilfskellner und in einer Woche geht’s zurück zum Studieren nach good old Germany. Ich schätze, ich werde auch da öfter mal an sie denken, den Sauvignon Blanc dann etwas langsamer genießen und "danke" sagen, wenn mir einer nachschenkt.



Gonzalos Pisco Sour

drei Teile eisgekühlter Pisco (Traubenschnaps, im gut sortierten Supermarkt)

ein Teil Limonensaft

ein Schuss Whisky

Puderzucker

alles gut schütteln und in Likörgläsern servieren