Home
Frauen Kinder Kueche Wer Mail Impressum
Maenner Kultur Medi-Eck Anzeigen Chat Links

Wolfgang Höhn

Um Wurst und Pelle


Deutschland geht es gerade wie der USA wirtschaftlich um die Wurst. Ich widme mich gezwungenermaßen ebenfalls diesem Gedanken und zeige aus gegebenem Anlass (Urlaubszeit, Fettsucht, Oraleinkehr) einen Algorithmus auf, wie man eine Weißwurst verspeist, ohne die Mitwelt zu nerven. Denn man kann beim Verzehr dieses ohnehin zweifelhaften Produkts mit menschlichem Mastwirkungsfaktor 10 sehr viel falsch machen - fast so viel wie beim gedankenlosem Verzehr eines Knäckebrottofuburgers; in letzterem Fall isst man dann wenigstens nur wie ein Schwein.


Inhaltsstoffe einer Weißwurst:

Sehnen- und fettgewebsarmes Jungrindfleisch, grob entsehntes Kalb- und Jungrindfleisch, fettgewebereiches Schweinefleisch, Speck, 5 % bis 15 % zusätzliches Bindegewebe, vor allem in Form von besonders gekochten Schwarten oder Kalbskopfhäuten


Man sollte die Wurst nur mit passendem Essbesteck angehen. Dieses besteht aus Messer und Gabel, nicht ausschließlich nur aus Fingern. Die Gabel sollte eine spitze Gabel und kein Vierfachstempel sein, mit dem Messer sollte man ohne Spritzeinlage eine reife Tomate problemlos achteln können. Haben Sie kein solches Messer, ordern Sie sich eines. Stellt Ihnen der Gastwirt kein solches bereit, ziehen Sie getrost Ihr Leatherman® aus der Gürteltasche, dann achtet man zumindest auf Sie, wenn sie dem suspekt beobachtenden Auditorium live eine visuelle Anleitung in Gourmandfragen, Abteilung "Weißwurst" liefern. Nebenbei bemerkt: Die wenigsten Bayern WOLLEN eine Weißwurst so verzehren, dass man mit anhaltend gutem Appetit sein eigenes Mahl fortsetzen kann; aber das macht nichts, vielleicht geben diese Paradebayern ihrer (Tisch-)Partnerin nur eine anschauliche Anleitung im "Zutzeln". Das könnte man zwar auch zu Hause erledigen, vielleicht hören (oder sehen) deren Partner dort nur nicht hin - aus verständlichen Gründen. Zutzeln gehört in Lebensnischen, wo es keiner bemerkt. Jedoch: Wer isst schon Weißwürste in Finsternis? Doch nehmen Sie Rücksicht auf die Eigenheiten Eingeborener: Zutzeln ist wie Fensterln ein bayrisches mikroökonomisches Paarbildungsritual (mit Erfolgsfaktor 0, dafür so deppert wie lächerlich und regional, dass die Nachahmungsgefahr eklatant ist). Übrigens: Romeo war so wenig ein Fensterler wie primäre männliche Geschlechtsorgane bezutzelt werden wollen.

Sehen Sie sich Ihre Weißwurst an: leicht gebogen, in praller Form, durchaus noch ein ästhetisches Nahrungsprodukt (sieht man von den Inhaltsstoffen einmal ab), begierig darauf, gehäutet zu werden. Aufgabe vorweg: Versuchen Sie die übrigbleibende Pelle ebenso ästhetisch aussehen zu lassen, dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Zuerst halten Sie mit der Gabel die Wurst fest (leichter stumpfer Druck, nicht mit den Spitzen) und schneiden mit dem Messer ein Endstück der Größe ab, von dem Sie gedenken, es verzehren zu wollen, können und auch müssen machen werden (wie Gerhard Sch. prolongieren würde). Doch nicht bis ganz auf den Tellerboden, sondern nur zu etwa 80%, sonst haben sie bereits verloren, denn dann beginnt ein Ärger, dessen Lösung ich an anderer Stelle zum Besten geben werde (Pech gehabt für heute). Sodann stechen sie mit der Gabel gefühlvoll in das Stück Ihres Verzehrwunsches (nicht in die Pelle, sondern in die soeben freigelegte Schnittstelle) und hebeln es geschickt aus seiner einseitigen Umhüllung, während das Messer den Rest der Wurst unten an der Bodenpelle arretiert, ohne sie dabei zu verletzen. Bodenpelle ist kein im Scrabble erlaubtes Wort.

Die Endstücke der Wurst lassen sich leichter von der Pelle lösen als die Mittelstücke, gehen sie also behutsam weiter voran: Mit dem Messer wieder etwa 80% der Umhüllung durchtrennen, mit der Gabel in die der Schnittstelle zugewandten Seite des Stückes stechen und wiederum aushebeln, während das Messer die Wurst festsetzt, ohne sie zu verletzen. So geht es weiter bis zum anderen Ende, das sich insofern vom ersten Ende unterscheidet, da das Messer nun keine Wahlfreiheit im Festhalten mehr hat, sondern unten an den restlichen 20% Pelle diese vorsichtig zähmen muss. Ein kleiner Trick: Trauen sie sich kein Hebelgeschick zu, dürfen sie die Pelle leicht mit dem Messer einritzen, um ein Lösen des Wurstinhalts zu erleichtern, was aber zu Abzügen in der B-Note führt. Die Pelle darf während der ganzen Prozedur nur durch die Teilungseinschnitte verletzt worden sein, dann waren Sie perfekt in der Behandlung - zumindest während des Verzehrs.

Haben sie diese Prozedur hinter sich, liegt nun eine von der eigentlichen Wurst entkernte Hülle vor Ihnen, die mehr an ein schlappes gebrauchtes Kondom als an ein Restprodukt eines genüsslichen Mahls erinnert. Bitte quetschen Sie die Pelle nicht am Tellerrand zu einem faltigen Knödel zusammen, damit nehmen Sie den übrigen Gästen deren Suggestion, dass es Ihnen eigentlich peinlich ist, das gegessen zu haben, was Sie gegessen haben. (Abgesehen von der Tatsache, dass Ihnen dies auch peinlich sein sollte.) Versuchen Sie, das Beste aus dieser unangenehmen Situation zu machen: Klappen Sie die Pelle fachmännisch und gelassen zusammen, drapieren Sie das kleine Paket knapp vom Tellerrand an einem Platz, wo es nicht stört und legen Sie ein Salatblatt darüber oder eine Scheibe Tomate oder - haben sie nichts Besseres zur Gabel - krönen Sie die gefaltete Pelle mit einem Stück Petersilie - die übrigens immer als Garnitur zu einer Weißwurst dargereicht werden sollte. Hat der werte Gastronom dies versäumt, dürfen Sie gerne den Kellner darum bitten. Die Pelle unter einem Berg Senf zu beerdigen halte ich für so unangemessen wie sie in einem Aschenbecher zu entsorgen. "Knapp vom Tellerrand entfernt" implizierte: schon noch auf dem Teller, und nicht auf den Tisch.


Energie- und Nährwertgehalt von 100g Weißwurst:

ca. 1122kJ (270kcal) verteilt auf 11g Eiweiß, 25g Fett und 62g Wasser, 2g Gewürze, Kräuter u.a.


Zuletzt zum Senf. Den kann man tunken, streichen, mit einem Schlenker draufwischen oder nachgabeln. Ich empfehle letzteres nicht (obwohl es schlierentechnisch perfekt gelöst wäre, s.u.), dann müssten Sie dem Publikum sekundenlang ein Stück Wurst im Mund präsentieren - wieder eher ein Fall fürs dunkle Zimmer - sondern ich empfehle die Methode des Draufstreichens. Dabei trennt sich wieder der Könner vom Laien, denn Senfschlierer auf dem Teller sind ebenso unästhetisch wie amateurhaft. Versuchen Sie das Messer nicht nachhaltig mit Senf zu beflecken, denn wo sonst als an der Pelle wird dieser haften bleiben.

Passiert Ihnen dennoch das ein oder andere Malheur - bleiben Sie gelassen, sehen Sie salbungsvoll in die Weißwurstrunde und lächeln sie nachgiebig. Keiner wird sich so viel Mühe gemacht haben wie Sie: Der Limes trennte zwar den Indogermanischen vom Romanischen Sprachraum, nicht aber die Manieren deren Einwohner, wie Sie sicherlich bei ihrem nun antrainierten Kennerblick in die Runde feststellen können.

Und? Der Gewinner ist...? Falsch. Nein, leider nicht Sie, sondern der Vegetarier vom Tisch Acht, er hatte Pfannkuchen mit Ahornsirup. Auch igitt.



www.montagskolumne.de