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Ursula Tallafuß

A Sandlergschicht


"Eine Weihnachtsgeschichte brauchst du also. Schreib: Ich scheiß auf Weihnachten."
Sechs Bier später will der Spender dieses edlen Satzes mich zur Mama und glaubt wieder ans Christkind.
Ich habe bis dahin längst Silvester überschritten und ich hoffe inständig, dass mein Mann schon schläft wenn ich nach Hause komme, mit meiner gigantischen Rakete.
Angefangen hat alles ganz harmlos. Eh klar.
Nachmittags bin ich in meine ehemalige Arbeitsstätte gefahren – Caritas Marienstüberl, Ausspeisung und Begegnungsstätte.
Bis vor drei Jahren habe ich dort Essen ausgeteilt, Karten gespielt, geraucht, geredet.
Jetzt herrscht im Stüberl Rauchverbot, fast alle Gesichter sind mir unbekannt und ich bin drauf und dran meine Spende abzugeben und wieder zu gehen.
Trotzdem setzte ich mich an den großen Tisch und siehe da – ein paar Leute können sich an mich erinnern und heißen mich herzlich Willkommen.
Also frage ich sie: "Was wünscht ihr euch zu Weihnachten?"
Schweigen tritt ein. Sie überlegen. Frau Ria zupft an einem Barthaar und antwortet als erste: Neue Zähne sollen ihr nachwachsen, außerdem möchte sie in ein schönes Heim und noch einmal einen Kirschenstrudel von der seligen Mama.
Der Mann im grünen Mantel schreit: "ACHTUNG! Zu Weihnachten gibt’s kein Achtung hab ich zu meinem Leutnant gesagt und was hat der Trottel zu mir gesagt? Raus mit ihnen, sie schaufeln heute alleine weiter am Schützengraben! Der erste Weltkrieg war noch viel schlimmer als der Zweite."
Der junge Giftler wünscht sich einen negativen Aidstest und eine Endlosspritze, der junge Abstinenzler will eine Arbeitsstelle wo er bleiben mag und seine Freundin zurück.
Ein mir Unbekannter hält seine Hand vor den Mund und sagt: Quak, Quak.
Dann gibt es eine Jause und alle stellen sich an. Ich schnappe mir einen Muffin von vorgestern und erkundige mich nach dem Verbleib einiger "Spezialisten".
Gottlieb, der Raubmörder, hat sich, oder das was noch von ihm übrig war, umgebracht.
Viele sitzen ein. Der Rest treibt sich am Bahnhof herum.
Der Abstinenzler bietet sich an mich zum richtigen Gleis zu bringen, ich lächle tapfer und nehme das Angebot an.
Wenn schon, denn schon.
Am Bahnsteig vier sitzt Lucky, er erkennt mich sofort und freut sich. Ich freue mich auch.
Der war mal mein Lieblingslucky.
Wir beschließen ein Bier trinken zu gehen, zum Türken, überall sonst hat er Lokalverbot, wie er mir grinsend mitteilt.
Dort angekommen verkündet er mir seine oben genannte Einstellung zu Weihnachten und holt gleichzeitig einen fein säuberlich gefalteten Zettel aus seiner Jacke: Eine Vorladung.
Herr Lucky hätte Herrn Wolf eine schallende Ohrfeige verpasst, Herr Wolf hat ein Loch im Trommelfell.
Das gibt eine saftige Strafe, doppelt bitter, weil Lucky noch auf Bewährung ist und von der Ohrfeige gar nichts weiß. Angeblich. Aber wenigstens ist Winter.
Wir bestellen uns noch ein Bier und ich frage ihn und die drei die uns begleiten, ob sie ihr Leben noch einmal so leben würden, wären sie wieder sechzehn.
Keiner sagt ja. Es hat aber auch niemand den Wunsch nach einem weißen Gartenzaun.
Vielmehr den nach dem perfekten Verbrechen. Gewaltlos wohlgemerkt.
Sie vertiefen sich in Gespräche über geknackte Ferraris, aufgebohrte Lastwägen und raffinierte Schmuggelmethoden.
Bier Nummer drei widmen sie der Wirtschaftskriminaliät, weil die aber nicht wirklich ihr Terrain ist, trinken sie das Bier rasch und widmen Bier Nummer vier mir.
Ich sage ich sei jetzt Hausfrau und schaue ihnen zu, wie sie darauf warten, dass ich mich rechtfertige oder meckere.
Als ich beides nicht tue und nach einer Weile erzähle, wie schön mein Beruf sein kann und dass ich wunderbare Kinder habe, lächeln sie erfreut und stellen eifrig fest, dass gute Mütter wichtig sind. Ob ich nicht Lust hätte sie zu adoptieren? Mit Fünfzig wären sie doch im besten Alter dafür. Ich lehne dankend ab und frage sie nach guten Vätern.
Väter (sein) mögen sie weniger. Niemand von ihnen hatte einen guten Vater und an den Vater im Himmel können sie nicht glauben.
Beim Thema Gott mischt sich ein junger Türke ein und erklärt mir, Frauen können gar nicht in den Himmel kommen.
Ich deute auf die junge, türkische Kellnerin, er deutet erneut nein.
Also frage ich die Kellnerin selber. Sie sagt, dass sei eben so, da kann frau nichts machen.
Ich bin noch nicht betrunken genug, um das widerstandslos hinzunehmen und Frage nach dem Grund dieser absurden Aussage. Kein Grund. Ist eben so. Bier Nummer fünf gehört der Frage nach einer Lösungsmöglichkeit des herrschenden Konflikts zwischen "denen" und "uns".
Keine Lösungsmöglichkeit. Ist eben so. Das war mein erstes Gespräch mit Fundamentalisten und garantiert mein Letztes. Frauen an den Herd, Emanzen in den Herd. Selbstmordattentäter sind super und Allah ist der einzige Gott. Ein dazwischen gibt es nicht.
Jetzt war ich betrunken und deprimiert – keine gute Kombination, also sperre ich mich kurz ins WC ein und heule ein wenig um den Weltfrieden und sowieso und überhaupt will ich heim. Dazu muss ich blöderweise das Klo wieder verlassen.
Im Lokal ist Lucky inzwischen aufgestanden und schreit dreimal hintereinander: "Zu Fleiß glaub ich jetzt wieder ans Christkind! Zu Fleiß!"
Da muss ich wieder lachen und bestelle mir "zu Fleiß" noch ein Bier, setzte mich wieder hin und bevor ich die Flasche ansetze, sage ich laut :"Auf den Weltfrieden!"
Ein alter Türke, der den ganzen Abend kein Wort verloren hat, hebt sein Teeglas und nickt zustimmend. Daraufhin hebt auch die Kellnerin ihr Fantaglas. Sowie meine Begleiter ihr Bier.
Niemand sagt etwas, wir lächeln einfach, lächeln den Fundamentalismus im Raum nieder und dem Christkind mit unbekannter Hautfarbe zu.



Bier:
Hopfen, Wasser, Malz - später Aspirin.