Marie-Theres
Eine Hausfrau, drei Kinder und ein Auftritt in Wien
"Wir müssen los, sonst verpassen wir den Zug! schallt mein mütterlicher Ton durchs Haus. Ein letzter Kontrollgang, Fenster zu, Bügeleisen aus, Herdplatten ab geschalten, Hunde versorgt, Brotzeit eingepackt, Shit, Taschentücher vergessen, ach und die Pflanzen gießen, wegen der Hitze, und die homöopathische Taschenapotheke muss mit für den Notfall, Tickets eingepackt, yep also bereit, die Tasche geschnappt... Die Tasche? Ein Ziegelstein ! Hey, was habt ihr denn alles eingepackt? Ein strenger Blick in die Runde. Aber Mama, wir müssen doch auch schön sein! Große blaue Kinderaugen schauen mich an. Ich hab zwar den Auftritt, aber ihr müsst schön sein, ist doch logo! sag ich grinsend.
Abfahrt. Am Bahnhof angekommen kommt das -Jetzt gehts los Gefühl in uns auf. Wie schön! Aber weit gefehlt.
Die Deutsche Bundesbahn wartet wieder einmal mit Verspätung auf. Shit. Kinder werden mit Mickey Mouse und jugendlichen Schundzeitungen bestochen zum Brav sein. Nützt aber nicht soviel. Nerv, nerv, frag, frag. Brezelbestechung. Na gut, auch noch etwas Süßes. Uff. Endlich kommt der Zug. Bayrische Landschaft zieht an uns vorbei. In Salzburg umsteigen. Shit, Anschlusszug verpasst. Klasse! Dankeschön DB für die telefonische Auskunft für nur 0,69 Cent die Minute...ein echtes Schnäppchen mit Warteschleife. Eine Stunde warten. Diesmal werden die Kinder mit Eis essen bestochen.
Ein Schwarzer kommt auf mich zu und guckt mich mit großen Augen an.
"Kann sein Du warst in Fernsehen? sagt er im holprigen Deutsch. Ich nicke. Er freut sich und sagt im breiten Grinsen Mami-Revolution! Nun bekomme ich das breite Grinsen Richtig, sag ich Mami Revolution. Mach auch mit! Er nickt und hält mir den unterstützenden Daumen entgegen. Schönen Gruß nach Afrika oder woher Du auch kommen magst denk ich Mamis aller Länder vereinigt euch! Und sehe gleich afrikanische Mamis in bunten Gewändern vor mir.
Endlich ist nun der Zug nach Wien da. 4 Stunden Fahrt liegen vor uns. Die Kinder sind begeistert. Noch.
Ein Abteil wird von uns erobert, die freundliche junge Dame, die außer uns noch da ist, bemerkt man eh nicht.
Die Arme.
Denn nun geht das HalliGalli los: Mein Sohn verwechselt die Ablage mit einem Klettergerüst auf dem Abendteuerspielplatz, meine Damen quaken und kichern und lesen sich laut die Aufklärungsseiten ihrer Zeitschriften vor. Dann beginnt die Entdeckungsreise zum Klo (Ist ja auch super spannend, wenn man die Gleise beim Pinkeln sieht!), welche sich dann auch im rhythmischen dreier Zyklus immer wiederholt. Wunderbar. Hunger heißt die nächste Arie. Der Speisewagen, den es auf Kurzstrecken schon lang nicht mehr gibt, wird vergeblich angesteuert. Also wird beim Speisewagerl für jeden ein Sandwich gekauft und ein Getränk. 17 Euro gezahlt. Klasse, echt familienfreundlich ! ;-)) ... Hunger gestillt.
Nun beginnt die Fragerei, immer mit dem obligatorischen MAAAMAA beginnend: Wie weit es ist es noch? Wo wohnen wir? Stimmt es, dass wir im gleichen Hotel wie Robbie Williams wohnen? War ich schon mal in Wien? Warum laden die Dich überhaupt ein? Sind wir endlich da? ... Stöhn. Mein mütterliches Gehirn versucht jeweils die richtige Antwort zu formulieren... ein Dauersport und ich frag mich, wie ich heute Abend überhaupt auftreten soll. Meine Nerven befinden sich schon in einem Schraubstock.
Endlich Wien. Die Redakteurin vom ORF holt uns ab. Sie will uns mit dem Taxi ins Hotel bringen. Wie lange müssen wir denn fahren...? ertönt es gelangweilt aus einem Kindermund. Stoßzeit. Lang. S-Bahn bietet sich an. Die ORF Dame atmet auf, scheint ihr auch lieber zu sein...
Als Revoluzzerin gehe ich demonstrativ auf das Kassenhäusel zu und frage provokativ, an die Münchner S-Bahn Preise denkend, nach einer Familienkarte. Punkt.
Die Antwort haut mich fast um: Wia oild san denn ihre Kinda? 8, 11, 14 Bei uns fahrn die Kinda bis zum 15 Lebensjahr umsonst raunzt der Wiener Beamte super freundlich Also nur ein Erwachsener, 24 Stunden Ticket, 5 Euro, bitteschön. Ich nehme die Karte und bin voll kommen entgeistert. Mein Traum den ich in Deutschland fordere, Kinder umsonst reisen zu lassen, ist in Wien Wirklichkeit. Ich fass es nicht.
Am Hotel angekommen, verabschiedet sich die ORF Dame und sagt mir, dass ich um 19 Uhr abgeholt werde. Ich schau auf die Uhr, eineinhalb Stunden durchatmen, Herrlich. Aber ich hab wieder mal nicht mit meinen Kindern gerechnet: Statt dem Zugabteil wird nun das Hotelzimmer erobert: Lichter an, Fernseher an, Betten durch hüpfen ausprobiert, Badezimmer geprüft, die kleinen Dusch - und Waschfläschen alle geöffnet, daran gerochen und ausprobiert, die Minibar mit einem Ah-Lecker entdeckt und mit einem Zu teuer wieder ent-deckt, halt, nicht das Pay TV und auch nicht den hoteleigenen Pornochannel, die Tasche wird geleert und die mädchenhafte Modeschau gestartet - das soeben noch gestylte Hotelzimmer verwandelt sich in 10 Minuten in ein Schlachtfeld.
Ich leg mich aufs Bett und versuche mir mal ein paar Gedanken zumachen, wie ich die Hausfrauenrevolution präsentiere... Hunger !!!!! War ja nicht anders zu erwarten. Also wieder auf, schnell ein Lokal gesucht und wienerisches verschlungen. Um 10 vor 7 wieder im Hotel, stopfe ich schnell mein Auftrittskleid plus nötige Utensilien in die Tasche, während sich meine Damen schön machen. Nur mein Sohn besteht darauf, dreckig zu bleiben. Mir ist mittlerweile schon alles wurscht.
Im ORF angekommen fragt mein Sohn Mama ist das ein Krankenhaus? Nein Süßer, das ist eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt erkläre ich ihm, aber Ähnlichkeiten gibt es.
Nun kommt auf mich das übliche shake hands zu... Ich bin müde und lächle trotzdem noch. Ins Studio. Auftritt üben. Der Chefredakteur kommt, Tut mir leid Frau Relin, Sie kommen am Schluss... sozusagen die Tina Turner der Hausfrauen heben wir uns für den Schluss auf. Pardon, nicht wegen des Alters, sondern der Power... Ich lächle erschöpft, die Kinder fragen mich nebenbei über Kameras und sonstiges aus. Nun werd ich samt Kinder in die Maske ab geführt, schließlich muss Mama renoviert werden. Das Publikum übt zwischenzeitlich das Klatschen (ja,ja auch so was will gelernt sein).
Die Kinder staunen wie sich alle um Mama bemühen, ich zurecht gemacht werde und wie viele Menschen an mir rumzupfen. Das Resultat kann sich sehen lassen, befinden meine Kinder, Renovierungsarbeiten erfolgreich abgeschlossen.
Nun geht es wieder retour ins Studio. Die Aufzeichnung der Sendung ist in vollem Gange. Nun heißt es ganz leise sein. Und das mit drei Kindern ! Oh, Gott !
Ein fremder Mann kommt und fängt an mir rumzufummeln, am Rücken, knapp über dem Po und am Dekolletée.....Mein Kinder schauen entsetzt! Mir wird das Mikrofon installiert flüstere ich meinen Kindern zu. Erleichterung bei den Kindern. Mama, tust du da drin dann nur reden? fragt leise mein Sohn. Ich nicke. Wähhhhhhh! flutscht es aus ihm heraus. Na großartig, denk ich mir und erkläre dann, dass sie im Studio während Mama wähhhh spricht, ganz leise sein müssen. Der Aufnahmeleiter gibt mir ein Zeichen. Noch eine Minute bis zum Auftritt. Ich versuch mich zu konzentrieren. Das Mikrokabel stört zwischen meinen Beinen. Und da soll man sich konzentrieren! Ich versuch es trotzdem...
Mama ich muss Pipi! Oh nein. Mein Sohn muss Pipi! sag ich Hilfe suchend und schon werd ich hinter die Kulissen geschoben. Eine halbe Minute noch. Was mach ich eigentlich hier?, frag ich mich. Denke nur ob mein Sohn noch Pipi war und rechtzeitig im Publikum sitzt, sich alle brav benehmen... Gedankenwirrwarr. Mein Name wird angekündigt. Ich trete auf. Vera begrüßt mich und ich sie. Mein Blick schweift ins Publikum. Meine drei Kinder sitzen brav in der ersten Reihe, wie die Spatzen. Uff, jetzt bin ich beruhigt. Das Interview kann losgehen.
Das Wähhhhh erspar ich euch. Nur....
......ach ja, die Rückreise war nicht so chaotisch am nächsten Tag. Das eroberte Zugabteil wurde diesmal in eine Liegewiese verwandelt und wir haben alle 4 Stunden herrlich geschlafen.
Fahrtbericht zu Vera ORF, aufgezeichnet am 2.Juli, gesendet am 3.Juli 03