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Wolfgang Höhn

Nicht von offenen Mündern; nur von Blasen auf der Zunge


MaThe hat mir gee-mailt, ich hätte mich inspirieren lassen. O Schreck, dachte ich erst, schon wieder angesteckt mit so einem unsichtbaren Blitzdings. Genauso ist es auch: was tun ohne Umwelt, Milieu, Brennpunktnischen - vielleicht auf die seelisch abgewrackt anvisierte Insel, für die wir uns reif wähnen, Herr PeCo?

Arme Schweine wären wir ohne Nachrichten, Nachbarn und Nach(t)talks, auch wenn wir gerne darauf verzichteten - bis wir uns, wenige Momente der Hilflosigkeit und Verlorenheit später - wieder danach sehnen, unserer implantierten Langeweile sei Dank. Implantierte Langeweile ist negativ ausgedrückt in etwa das, was "Konsumankurbelung", "Beschäftigungswut" oder "Forschungsdrang" erklären wollen: Der Mensch als Produkt seines eigenhändig geschaffenen Gartens Eden, der eher einem verwahrlosten Großstadtvorgarten mit uns als Zwergen darin gleicht, denn dem, was man sich darunter im eigentlichen Sinne vorzustellen hätte.

Noch eine Erklärung? Bitte sehr: Welcher Hundebesitzer lässt seine Töle auf den eigenen Rasen scheißen, wie er es auf Trottoirs, in öffentlichen Grünanlagen oder fremden Vorgärten inszeniert? Ich habe schon viele kackende Köter gesehen, aber noch keinen eskortierenden Kläfferbesitzer, der damit einhergehend mit einer Hundescheißetüte hantiert hätte.

Nun legen ein paar GartenEdenmöchtegernbewohner verheerende Bomben, andere massakrieren vergnügungsparkend aus Langeweile (oder Beschäftigungssucht? - wie war das eben noch gleich?), wieder andere finden ihr Heil nicht in umverteilten Haustierexkrementen, sondern eher in gezieltem Be-Scheißen: den Staat, den Nächsten, den Allernächsten. So weit, so nett, wer kann, der kann, was geht solch Vorfall einen an? Die Mehrzahl der Menschen sind schnödes Wahlvolk, Staatsubventionierer und Entertainmentfetischisten, weiter nichts, sie werkeln in einem (nicht von ihnen selbst!) abgesteckten Rahmen so gut es ebenEden geht, um anzuhäufen: Reichtümer, Glücksgefühle, Seelenfrieden, Orgasmen, mp3(pro)-Titel, Gehirnzellen, Rechthabereien, Statusinsignien, Ansichten. Manch einer definiert sein persönliches E(r)denglücksempfinden sogar dadurch, dass er seine Mitmenschen degradiert. Nicht zu etwas Bestimmten, nein, einfach nur indem er in Alltagssituationen versucht, besser als andere zu sein: Informierter, glücklicher, belesener, witziger, origineller (Komparativ von "witzig"), bauernschlauer (Superlativ dazu), satter, erfolgreicher, abgebrühter. Die Summe daraus nennt sich dann Intolerante Ignoranz.

Diese Leute sind die moderne Pest, denn sie wollen partout nicht zuhören, sie blocken ab, sobald etwas über ihren Horizont hinaus geht, vor ihrem Horizont verquer läuft oder ihren Horizont erweitern möchte. Wären solcherlei Gespräche Dokumente auf einem PC, sie wanderten allesamt kurzerhand in den Papierkorb. Dort würden sie jedoch nicht gelöscht, sondern mittels eines unsichtbar ablaufenden Hintergrundprogramms umformuliert und in einem neuen Ordner wieder abgespeichert, um im (un-)geeigneten Moment die Verbalmüllung unserer Welt wieder aufzubereiten. Wer mit beengtem Schuhwerk geht, holt sich Blasen an den Füßen. Warum, zum Kuckuck, holt sich nicht Blasen auf der Zunge, wer mit beengtem Verstand spricht?

Ringschluss A: All dieser sprechdurchfallende Verbalmüll verseucht unseren Verstand, niemand sieht sich bemüßigt, eine Kunststofftüte hervorzuholen und ihn einzusammeln, um ihn zu entsorgen. Ringschluss B: Vielleicht ist ja dies der Grund, warum niemand mehr richtig zuhört: Es ist alles bereits gesagt, tausendfach, in Millionen von Sprechblasen, die abgenickt verpuffen und nur zu einem taugen: das soziale Gefüge durch nichtssagende Kommunikation aufrecht zu erhalten. Wie? SSMs (Soziale Short Messages) seien gar nicht so übel? Stimmt ja auch. Aber es ginge auch auf weniger penetrante Weise: Durch gezielteres Hinhören und weniger Selbstdarstellung, gepaart mit mehr Verstand und noch mehr Vernunft. Blabla als soziale Komponente in allen Ehren, aber bitte nur mit dem, der dieses Werkzeug bei avisierter Zielsetzung benötigt.

Eigentlich wollte ich, als ich den Titel zu dieser Kolumne wählte, ursprünglich über das von der britischen Luftfahrtgesellschaft Virgin Atlantic installierte Frauenmund-Pissoir eingehen, aber zu viele Gründe sprachen dagegen: 1. der obige Inhalt dieser Kolumne, 2. die Airline verzichtete nach herber Kritik auf die Urinale, 3. das war kein intentional küssender Mund, sondern einer, der schwer nach Fellatio lechzt (siehe Bild), 4. es entstand kein nennenswerter Verlust durch die Demontage der Pissoirs. Kolumnentechnisch hätte dies unterm Strich bedeutet: ein Dokument mehr für den Papierkorb.

Apropos: Man hätte auch die Form einer halb aufgeschälten pissgelben Banane wählen können (weniger sichtbare Kalkflecken) oder die eines aufgeplatzten Fußballs (für Sportliche oder Schwarzweiß-Liebhaber). Ich frage mich auch, was thematisch feist grinsende Männer zu einem geköpften Riesenphallus aus auberginefarbener Keramik gesagt hätten, deren Testikel bestens zum Verstecken eines Siphons geeignet gewesen wären. (Wahrscheinlich, dass "aubergine" keine Farbe, sondern eine Frucht, allenfalls aber ein Erotiktool ist.) Nur Gedankenmüll?: Denken sie an das weibliche Porzellan-Pendant zum Phallus-Pissoir!

Aber am besten: Warum nicht die Form einer aufgesägten Schädeldecke? In Reinweiß mit bleicher physiognomisch neutraler und sehr androgyner Gesichtsmaske. Dort hinein könnten sich Männer wie Frauen, vorausgesetzt geschlechtskompatibel konstruiert, das schnöde Sprechblasenvolk erleichtern. Genauso wie wir uns, analog dazu, in den Verstand unserer Mitmenschen Tag für Tag verbal erleichtern. (Daher auch der bayrische Ausdruck: "Dir hams ja ins Hirn gschissn.") Aber "ANALog" erweckt vermutlich in dem einen oder anderen Puritaner auch wieder nur den (an)sichtbaren Makel des Anstößigen (sic!); man wählt sich übrigens die meisten Infektionen solcher und ähnlicher Art selbst aus. Demnach also: Danke, MaThe. Bist ein zuverlässiger Ideenlieferant. :-)

Dein ZaZe


Mit freundlicher Genehmigung von Wolgang Hoehn.


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