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Wolfgang Höhn

Dilettantisch Brust geben


He, komm mal her! Schnell! In den Nachrichten zeigen sie Janet Jacksons nackten Busen! Schnelllll!", kreischt sie.

Beim diesjährigen Super-Bowl-Finale in Houston (Texas), dem "Höhepunkt des US-amerikanischen Kirchenjahres" (SZ) riss Teeniestar Justin Timberlake das rechte Brustteil von Janet Jacksons Lederkostüm ab und legte eine Brust frei, deren Warze mit einem glitzernden Silberstern verziert war. Eumoralopäisch betrachtet nicht besonders erwähnenswert, auch wenn das braune runde Ding lustig hopste und die Involvierten sich sichtlich erschrocken und damit als noch schlechtere Schauspieler als Sänger zeigten.

"Na und?", ruft er aus der Küche. "Das Teewasser kocht gleich. Außerdem: Ich hab schon mal eine nackte Brust gesehen..."

Die US-Amerikaner haben ein Problem. Weil die Wächter über die US-amerikanische Moral ein Problem haben oder weil sie glauben, so viktorianisch wie egozentrisch sein zu wollen? Moral erzählt viel über Menschen - wenn es aufrichtige Moral ist. Vorgeschürzte Moral plaudert allerdings noch mehr aus, sie ist ein Feigenblatt persönlicher Unreife und eine gefährliche Brutstätte für allerhand Exzessionen. Wenn der Anlass der Aufregung dann bloß eine einzige nackte Brust ist: fürchten US-Amerikaner ihr Ansehen zu verlieren, wenn J. J. ihren Brustschurz verliert? "NO FRONTAL NUDITY" lautet ein US-Grundgesetz (in der Ehe auch?), aber Gewalt wird legal veralltäglicht (in der Ehe auch?). Warum ist eine teilentblößte weibliche Brust ein Aufreger (in der Ehe auch?), hingegen der amerikanische Gewaltimperialismus abgenickte Methode?

"Ja, aber nicht eine solche! Die zeigen sie immer wieder! Außerdem: Es ist die von JANET JACKSON!!!"

Aus der Küche: "Nur hingucken ist langweilig."

Erwachsen werden ist immer ein Problem. Die USA geben sich bisweilen den Anschein, seit 1776 der Pubertät entfliehen zu wollen, mit mäßigem bis gar keinem Erfolg. In regelmäßigen Abständen liefern sie beeindruckende Indizien für ihre Problematik, sich extravertiert mit Themen wie Erotik in der Öffentlichkeit auseinander zu setzen. Um es vorwegzunehmen: Janet Jacksons schaukelnde Brust ist alles andere als erotisch, eher eine Werbeeinblendung gegen schönheitschirurgische Eingriffe.

Er: "Sag mir lieber, wann Loriots Cartoon über die pneumatische Plastologie anfängt..."

Wenn Medienwächter Michael Powell, dessen Vater schon im ersten Irak-Krieg postpubertäre Aggressionen ablud, sich über eine nippelmoralgeschürzte nackte Brust aufregt - vermutlich nicht einmal, weil dies seine innerste Überzeugung repräsentiert, sondern weil er als Amtsträger im Namen einer ganzen Nation sprechen muss - erzählt das viel über die Sittenlehre eines Volkes. Mariella Ahrens trug in der Dschungelshow kaum etwas auf dem Leib, Reaktion: Die Herren waren angetan, die Damen sonnten sich in fremdem Körpergefühl, die Medien waren angetan. Die Medien sind immer äußerst angetan, wenn sie mehr Stoff haben als das Objekt, über das sie berichten. Doch ein Synthetik-Dschungel ist auch kein Identitäts-Jahrmarkt übertriebener Eitelkeiten wie das amerikanische Football-Finale. Schließlich sah die ganze Welt zu und bemerkte, dass Michael Jacksons Schwester mindestens eine Brust trägt, die wohl dachte: "Ich bin ein Star - ich will hier raus!" (Ob ihr Frontal Star einen Nippel trägt, diesen Beweis muss Janet allerdings noch antreten - na, vielleicht im nächsten Jahr mit Madonna als laszivere Partnerin als Junge Justin.)

Sie ruft aus dem Wohnzimmer: "Der Timberlake sagt, er hätte das Brustteil nicht absichtlich abgerissen!"

"Das sagen sie hinterher alle. Dabei geht es nur ums Geld. Die Frage ist nur, was teuerer war: Der Auftritt im Stadion oder die Miete für den Dschungel."

Sie: "Wovon redest du eigentlich?"

Er: "Vom Tittenfieber."

Sie (moralisch überbetont empört): "Ihr Männer habt doch immer nur eines im Kopf!"

"Ach, weißt du", sagt er. "Wir leben gerne mit dieser Unterstellung. Das erspart uns Erklärungen. Es ist einfacher, als Beine-Busen-Po-fixiert zu gelten, als sich täglich verbal hinter seiner wahren Identität verstecken zu müssen."

Sie (feixend): "Beine, Busen, Po? Du hast das Bier vergessen!"

Er: "Hm... Das Teewasser kocht gerade, magst du auch einen?"


Mit freundlicher Genehmigung von Wolgang Hoehn.

Weitere Infos und Kolumnen:
www.montagskolumne.de