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Wolfgang Hoehn

Monolog eines Schneewandlers


Aus der Schatzkiste der offenbarten Grausamkeiten. Ich lege es zu Füßen derjenigen, die festen, warmen Schrittes als akklimatisierter Mitteleuropäer oder gar verkappter Nordländer mit eiskaltem Lächeln der Klirre frohgemut trotzen, ans Herz derjenigen, die klares Winterlicht oder Schneelandschaften nicht blendet und die keine Kopfschmerzen davon bekommen, und widme es denjenigen, die abends kuscheliger und inniger lieben können und sich nicht zittrig in den Schlaf bibbern. Eiskalte Finger streicheln. Atem ein Pesthauch. Gerüche schneidend klar. Die Nacht wird unruhig eingedampft und morgens wischt man das getrunkene Bier von der beschlagenen Fensterscheibe. Ich lüfte die Räume, aber wie soll ich meine erfrorene Stimmung lüften?

Zu Beginn des Oktobers fängt es an, auf meine Seele zu nieseln. Es sind nicht zarte kleine Tröpfchen; es sind kleine Kältegranaten, schmerzhaft und arschkalt. Arschkalt ist auch er, aber den kann man noch einhüllen, packe ich jedoch meine Seele ein, wen soll ich liebkosen? Also friere ich mich durch die zweite Jahreszeit, die andere nenne ich Sommer. Der Sommer könnte stattfinden, wann er wollte, er ist für mich gleichbedeutend mit Wärme, am besten tagsüber nicht unter 30, nächtens nicht unter 20 Grad Celsius. Ich weiß, dies mag eine Geschmackssache sein, dennoch erklärt sie einiges: Geschmack macht einen Menschen. Meeresrauschen auch.

Es gibt einen meteorologischen Winter und einen kalendarischen. Für mich gibt es als dritte Möglichkeit nur den Nichtsommer als eine von zwei Jahreszeiten. Im Sommer befinde ich mich zumeist draußen, im Nichtsommer drinnen. Im Sommer gehe ich freibaden, im Winter hallenbaden, im Sommer habe ich danach Durst, im Winter eine Erkältung. Im Sommer sitze ich bis spätabends im Freien, im Winter neben einer Heizung oder in dicken Klamotten eingemummt mit klammen Fingern und denke: kalt. Im Sommer schreibe ich dreimal so schnell und so viel als im Winter. Im Sommer geben diese wortplatzangewiesenen Produkte eine fröhliche, im Winter eine düstere Stimmung wieder. Im Sommer liebe ich inniger. Im Winter klebt einem Salz an den Schuhen, das in der Wohnung Flecken hinterlässt, nach Hundescheiße riecht, oder beides.

Ich dulde (nicht erleide), schon seitdem es den Winter gibt, eine latente Winterdepression, eine Art Pflegekind. Diese äußerst sich dadurch, dass ich fetter werde (im Mai ist davon nichts mehr zu sehen, aber wenn ich mich dezemberlich zur Seite knicke und mit Daumen und Zeigefinger dieses Hüftröllchen hervorquetsche, o weh...). Der Schwartenzenit ist Anfang Januar. Nächstes Jahr soll die Fastenzeit bald beginnen, das lässt darauf hoffen, dass sich der gefühlte Winter auch früher verabschiedet, Prinzip Hoffnung.

Man gibt mir Tipps, wie sich der Winter verschönern ließe: Schlitten, Ski, Snowboard, Schlittschuh fahren, rutschen oder laufen, Schneewanderungen durch verschneite Wälder erleben, Iglus bauen, Schneemänner errichten. Ich quäle mich dazu und nenne es Therapie. Ein Iglu oder ein Schneemann oder ein Schneespaziergang, bei dem Bäume einen die kalte weiße Pampe in den Kragen träufeln, wenn man sie tritt, das nenne ich lustig: weil mein Sohn dazu lachen kann. Seitdem ich einen Sohn habe, der Schnee liebt, gewinne ich dem Winter ein Lächeln ab, das nicht das meine ist: auch Schnee kann spiegeln.

Ich finde weitere Wege durch den Winter, ich finde sie. Immer wieder. Weil ich muss. Im Sommer speichere ich geschriebene Fröhlichkeit, damit es ausgewogen wirkt. Ich konserviere erwärmte Gedanken und rufe sie in der kalten Jahreszeit ab, damit mich nicht die Depressionslawine erschlägt und zeitwinters begräbt. Ich sollte Mitte November einschlafen und Ende April aufwachen, jeweils ein Monat Latenzzeit vor und nach dem fühlbaren Sommer genügt, um zu wissen, dass es auch etwas anderes gibt. Man muss nicht in ein Loch stürzen, um zu wissen, dass es darin hart und dunkel ist. Ein langer dicker Winterschlaf genügte.

*

Im blauen Sommer nur noch wachen, in lauen Nächten braune Haut verführen, lachen, Laune spüren für ein warmes Lied. Und wenn es zieht, dann schließt man Türen, legt sich wohl und fein zu Bett, das eine Hülle baut. Der Duft der Dunkelheit, er ruft, und das Verlangen ohne Laut, von Geisterhand verführt, zurrt diesen Liebesfaden heißer Haut. Aus feuchtem Mund drückt Schwere wie ein Stempel und verzückt, was eben noch ein frommer Tempel ward mit wirrem Haar und tiefem Grund. Die aufgestaute Müdigkeit entlässt den Mann, das Weib in zweisam zarte Dinge, dort: ein stiller Ruf: warte!, schon krallt sich Schwüle in die Laken - und: als wenn nun alles ginge, befreit von jeglichem Gewande, die Lust in Liebe sich verfinge: all ihre Hoffnungen in feste Bande sich verhaken. Und beide wie ein Kind. Kein Zeitvertreib, was eingetauscht den Sinn in eine Schwebe überlässt: ein Fest, das blüht! Aus dunklem Tann und tausend Träumen rauscht der Sommerwind mit zarter Hand durch das Gemüt.



Weitere Infos und Kolumnen von Wolfgang Hoehn:
www.montagskolumne.de