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Wolfgang Hoehn

Neuronal subduzierte Dummheit


Martin Meggle berichtet im Rheinischen Merkur (Nr. 34 am 19.08.2004) über ein Ereignis, das in der reflektierten Form eigentlich gar nicht hätte stattfinden dürfen. Die Intention der Veranstalter war eindeutig: Aufregung über ein Projekt, dessen Bedeutsamkeit in Unkenntnis liegt, durch postuliertes Vertuschen. Es sollte ein Kunstwerk aus 1500-jähriger Inhaltsleere geschaffen werden, was nur durch die Kooperation der Presse möglich war. Es wäre besser gewesen, nicht nur 50 Kunstwerke wären verschluckt geblieben, sondern die ganze Aktion an sich.
Das Irrwitzige ist, dass man, kam ein Stein bereits ins Rollen, diesen nur dadurch stoppen kann, dass man sich um ihn gleichwie kümmert. Ich muss mit dieser Kolumne diese Absurdität also genauso bedienen wie all diejenigen, denen ich vorhalte, sie hätten besser geschwiegen. Liebe Enthüllungsjournaille, warum etwas enthüllen, was unbedingt verhüllt sein möchte?
Die Presse lebt hauptsächlich von der Blödheit, Blindheit und Blasiertheit anderer. Von denjenigen, die sie sich zum Inhalt macht, und von denjenigen, die ihr Produkt gierig verschlingen und verdauen - nicht ohne dabei ähnliche Geräusche von sich zu geben. Ausgeschieden wird anschließend selten, eher neuronal subduziert. Wozu brauchen wir also ein "Kunstwerk"? Erst verschluckt die Journaille etwas, um es sodann wiederaufbereitet hervorzuwürgen, auszudünsten oder auszuscheiden, in der Hoffnung, die getreue Aufregerschaft verschlingt das "bearbeitete" Produkt erneut. Mit Speichel versetzt, mit Magensäften vorverdaut, zum Endprodukt eingedickt. Zwei inkontinente Lachnummern treffen zerstörerisch aufeinander: Entertainment-Lieferant und Entertainment-Konsument.
In der Geologie ist Subduktion die Zerstörung durch Kollision zweier Erdplatten, wörtlich übersetzt aus dem Lateinischen "hinunter führen" bedeutend: Die Erde verschlingt ein eigenes Produkt. So gesehen wäre die Geschichte zu Ende und nur Schweigen Protest.
Doch leider ist der Mensch u.a. ein Schreihals. Kann er nicht zur eigenen Befriedigung schreien, brüllt er, um nach Befriedigungen lechzende und gelangweilte Konsumenten zu bedienen. Das allein wäre schon ein bedienungswürdiges Kunstwerk an sich, aber es gefünfzigstelt in 50 Edelstahl-Zylinder zu verpacken, die mit planen Edelstahl-Deckeln durch 16 Edelstahl-Schrauben verschlossen blickdicht und 1500 Jahre eingebunkert wurden: Welchen Spinner interessiert das eigentlich? Wann lernt die Presse endlich, dass nicht jeder Scheiß von Interesse ist? Warum verabreden sich die berichtenden Journalisten nicht, sich in 1500 Jahren an besagter Stelle wieder einzufinden und erst dann zu blöken? Wie gelangweilt muss ein Mensch sein, um solche Aktionen als lesenswert einzustufen?
"Verarscht!", schweigen uns die Initiatoren an.
50 willkürlich ausgesuchte Gegenwartskünstler schufen je ein Werk, das in einen Edelstahlbehälter deponiert wurde. Diese wurden unbesehen für 1500 Jahre neben Kulturgütern, die unter die Haager Konvention fallen, unter strengen Sicherheitsvorkehrungen eingebunkert. Zweck soll sein, durch "die Möglichkeit der Nichtrezeption ... eine Form der Rezeption" zu erhalten. Nichtrezeption ist allerdings nur dann gewährleistet, wenn nicht nur das Kunst-Produkt demütig das Maul hält, sondern auch die Presse dazu schweigt, diese aber macht - wie immer, wenn sie sich berufen fühlt, beredtes Schweigen zu verbreiten - ein Spektakel aus der Aktion, ganz im Sinne der Veranstalter, die dies gezielt und gekonnt provoziert haben.
Auf den Leim gegangen, lieber User, kann man nur sagen. Unter www.verschluckung.de kann man über die Aktion erfahren, was man nicht erfahren soll. Ein wahrlich treffliches Kunstwerk im Sinne Josef Beuys und der Tradition Christos wäre es gewesen, hätte man darüber einen fetten Mantel des Schweigens gebreitet und in 1500 Jahren den ollen Krempel bei Ebay's oder Christie's Erben klammheimlich verhökert.
Der Tag sollte eigentlich ein Fest für alle werden? War doch klar, dass es ganz bestimmt anders kommen würde. Gleich was die 50 Künstler der Nachwelt hinterlassen und auf welche Art (sic!) sie sich in der Schatzkammer des deutschen Kulturguts verewigt haben, fest steht bereits jetzt, dass dies in 1500 Jahren keinen Schwan mehr interessieren wird. Nachgedacht: Was war VOR 1500 Jahren in unserem Kulturkreis los? Was wird IN 1500 Jahren sein? Die Entwicklungskurve der Menschheit steigt jedoch nicht linear progressiv, sondern exponentiell. Allein die Frage ist bereits absurd. Was wiederum bedeutet, dass die Blechbüchsen im Jahr 3504 belanglose Funde sein werden: ganz nett anzusehen, aber wie die meisten Relikte aus grauen Vorzeiten weltweit überall vom Zeitenwandel dermaßen subduziert worden, dass ihr Erscheinen, wenn es gut geht mit der Menschheit, ignoriert oder als wertvoller Rohstoff wiederverwertet wird, wenn es jedoch schief läuft mit ihr, ein ähnliches Echo hervorrufen wird wie 2004: Künstliche Aufreger, des Aufregens Willen. Finger seitlich an den Kopf zu tippen kann auch Kunst sein. Es kommt auf die Inszenierung an.
Subduzieren wir die Subduktion.
Einfach.



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www.montagskolumne.de