Wolfgang Höhn Unbesiegbares Alien Zing, zing, piep-piep-piep, äääääärp... Aus dem Kinderzimmer hallen kosmische Geräusche lasernder Außerirdischer, gesteuert durch einen fingerfertigen Jungen, dessen Blickfeld im Monitor seines PCs versinkt. Zu der kläffenden, weil allein gelassenen Töle, die stundenlang in der Nachbarswohnung jault, und ratternden Alltags-Maschinen gesellen sich nun seit dem gestrigen Geburtstag hausgemachte Störenfriede. Lara Croft war harmlos gegen die verharmlosende Gewalt neuerer Anti-Langeweile-Spiele. (Lara hatte wenigstens noch Charme und Charisma.) Doch der Siegeszug hirnerweichender Software konnte auch in unserem Hause nicht aufgehalten werden. Man muss sich den Aliens stellen, kein Weg führt daran vorbei. "Kannst du sie nicht ein wenig leiser besiegen?", melde ich erste Schritte wider die Verblödung an. "Oooch, Papo, das macht doch nur Spaß, wenn man auch den dazu gehörenden Sound ordentlich aufdreht." Das geht mir beim Staub saugen nicht so. Auch andere Geräte wie Spülmaschine, XY-Lüfter oder Rasenmäher entlocken mir mit erhöhten Dezibelwerten nicht proportional gestiegene Freude bei ihrem Einsatz. Chrrrrrrrrrrrrrrrrr, sapppp..., tscharummmmm! "Hast du schon deine Hausaufgaben gemacht?" "Klar. Magst du sehen?" Sein Blick haftet starr an einer anderen Welt. "Und was ist mit George?" "Hab seinen Stall gesäubert und das Laufrad repariert. Außerdem hab ich ihm vorhin einen neuen Trick beigebracht, magst du heut Abend sehen?" Piep-piep... tschääääääääääärp. WUMMMM! Früher war ich einmal sein größtes und liebstes Kuscheltier, nun bin ich ein Teil seines Terminkalenders geworden. "In Ordnung: Termin steht um halb sieben: George applaudieren", salutiere ich. Er grinst. Sein PC-konzentrierter Blick schenkt mir sichtlich weniger Zuwendung als vorher George vermutlich erhielt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als mein Sohn MICH unbedingt als Spielgefährten brauchte. Papo hier, Papo da. Nun belagern ihn Kameraden anderer Galaxien, harren auf seinen Einsatz: Schulkameraden, George Hamster, Nico Nachbar, fünf bis vierzehn "so lala"-Freunde (je nach Laune), der PC, ein Bolzplatz, sein zugesichertes TV-Sendungs-Kontingent, zwei Schränke voller Brettspiele, Berge an LEGO-Bausteinen, etliche Kisten mit Playmobil und anderen Kunststoff-Kumpels, ein Heer an Kuscheltieren jeglicher Art und Größe usw. Ein Jungenleben ist ein Wunder an Organisationstalent. Na, noch starren keine großformatigen Idole von der Kinderzimmerwand. Nachdenklich blicke ich mich in seinem Zimmer um: es glänzt - geradezu ein Vorbild an Ordnung, Sauberkeit, Geschmack. Sehr ungewöhnlich. PC heißt doch auch politically correct, hm... Piep, piep, piep, piep, piep, tscha... tscha... Er konzentriert sich wie ein Besessener auf den Monitor, nur bisweilen ein hastiger Blick zur Uhr. "Was ist das nur für ein interessantes Ballerspiel?", erkundige ich mich und trete näher heran. Er grinst. "Willst du auch mal?", fügt er schelmisch hinzu. Ich lehne dankend ab. Das habe ich hinter mir. Hinter mir? Ich sehe mich stumpfsinnig daddelnd am PC sitzen, eingetaucht in eine ANDERE Welt; früher steuerte ich stundenlang mehr oder minder verpixelte Figuren und lotste sie durch virtuelle Gefahren: dunkle Gänge finsterer Welten oder geheimnisvolle Dschungel. Geschadet hat es mir nur insofern, dass ich vielleicht etwas anderes verpasst haben könnte. Wie? Man verpasst nichts im Leben, man widmet sich eben anderen Dingen? Na, ich weiß nicht recht. Kann man Geschmack genetisch vererben oder habe ich einfach nur nicht acht gegeben und er eifert mir nun nach? Alles meine Schuld? Piep, piep, zappppppp, schlurp... "Willst DU nun mal? Du darfst gerne. Um Halb muss ich ohnehin los..." Zapp, zapp... "Nee, nee, lass mal, ich habe noch zu tun. Muss noch eine Kolumne schreiben über Suchtgefahren..." Die Türglocke erschallt, und genau einhergehend damit scheint der letzte Gegner grandios besiegt. Mit einem Satz fliegt er zur Kinderzimmertür hinaus, die neuen Sneakers bereits geschnürt, ruft "Tschüs, Papo, fährst du bitte den PC runter für mich! Lieben Dank, Bussi, ich muss dringend los... Bin um halb sieben wieder da...", und weg ist er. Keine Ahnung, wer die Glocke geläutet hat, im Treppenhaus hallen nur SEINE Schritte. Ich forsche neugierig an allen Fenstern, aber kein Mensch ist auszumachen: weder er noch der Unbekannte. Einfach verschwunden. Als hätte ihn ein Alien entführt. "HA!", höre ich mich mit mir selbst reden. "Das Alien, das MEINEN SOHN entführt, das muss noch erfunden werden!" Auf dem Monitor tummeln sich seltsame Wesen. Ich setze mich an seinen PC, das Spiel läuft noch. Ein paar Minuten lasse ich mich verführen, alte Zeiten werden wach, ich grinse ein wenig dämlich in eine dunkle Vergangenheit, die mir kostbare Zeit meines Lebens geraubt hat, na ja, wie so manch andere Vorkommnisse... ach was, Schwamm drüber... dann: o Schreck: mein letztes Leben ist weg. Ich beende das Programm, fahre den PC runter. Das makellos hinterlassene Zimmer strahlt mich an: "Schau: DEIN Sohn!", leuchtet es stolz in mir. Ich feixe mit Schatten. Als ich von seinem Schreibtisch aufstehen will, fällt mir ein an die Pinwand gehefteter, winziger Zettel ins Auge, auf dem in mir fremder Handschrift krakelig die Uhrzeit der Entführung und der Name des verantwortlichen Monsters verraten wird: 15.30 sharp: Marie. "Ach du liebes Weltall", seufze ich. Gegen den Charme solche Aliens bin ich machtlos. Mit freundlicher Genehmigung von Wolgang Hoehn. Weitere Infos und Kolumnen: www.montagskolumne.de |
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