Michael Weiler Als Sibylle Berg in einem Vogelkäfig vor der Haustüre stand "wandering in a parkinklot on a rainy afternoon now i am an astronaut third man on the moon" aus: masters of reality "deep in the hole" Alles begann mit dem Ende. Mit dem Ende einer Beziehung zu einer Frau die Jutta hies und die er besuchen wollte, mit dem falschen Buch, den falschen Erwartungen und mit allem im Gepäck was man sonst noch falsch machen kann bei Frauen. Er las aus unerfindlichen Gründen gerade "Doktor Faustus" von Thomas Mann. Das Ziel der Zugreise, auf die er sich begeben hatte, war Halle an der Saale. Dort spielte auch das Buch das zu lesen er begonnen hatte. Die Verwicklungen, die dann dazu führten, dass Sibylle Berg in einem Vogelkäfig vor seiner Haustüre stand, begannen in dem Augenblick, als er aus dem Zugfenster sah und ein Schild mit dem Namen "Bitterfeld" vorbeizog. Dort setzte der Regen ein. Eine spezielle Art von Regen. Alles wurde dunkel und die Welt verschwand hinter einem diffusen Schleier. In einem solchen Regen konnte so ziemlich alles geschehen. Als er seinen Fuss in Halle auf den Bahnsteig setzte, wusste er, dass er sich auf einer schiefen Ebene befand. Nicht, dass der Bahnsteig schief gewesen wäre, sondern die schiefe Ebene war eher eine Schwingung. Ein innerer Zustand von Menschen, deren Frequenz füreinander sich so verschoben hat, dass einfach nichts mehr zu machen ist. Aber er kickte den Gedanken weg und rutschte auf Sie zu. Sie die Jutta hies, und so gut roch und die eine Falte um den Mund hatte, die er liebte, noch mehr wie den Rest von ihr. Die Begrüssung ging natürlich schief. Denn Jutta wollte ihn nicht, was er schon lange wusste. Da war es besser über den Regen zu reden. Diesen verfluchten Regen, der ihn begleitete, seit Bitterfeld. Wenn Frauen nicht mehr wollen, dann wollen sie eben nicht. Davon hatte er gehört. Damit musste man sich abfinden. Aber Jutta`s die nicht mehr wollen, das war mehr als er ertragen konnte. Man muss über diesen Besuch in Halle also nicht viel erzählen: Sie streiften einen Abend durch die Stadt: Im Regen. Die Worte klebten im Maul, und sie sassen nebeneinander. Sie rutschte immer weiter weg, je näher er ihr sein wollte. Nicht einmal das Bier, dass sie in einer Kneipe tranken, machte es besser. Dann gingen sie zu ihr. Und der Regen hielt sich tapfer. Noch ein Versuch zu reden... aber es war sinnlos. Eigentlich wollte er eine Woche bleiben, aber nun wusste er, dass er weg musste. Bald, noch bevor der Regen aufgehört hatte. Sie feilte bereits im Dunkeln an einem Satz. Er konnte das spüren. Dann war Sie soweit und Sie sagte es. Er ging dann pissen, und da stand ihr Fahrrad auf der Waschmaschine. Das Klofenster war ein Schlitz, dahinter Häuser und eine einsame, traurige Teppichstange. Er zog die Spülung und dann packte nebenbei ein paar Erinnerungen ein. Aktenzeichen: Der letzte Besuch. Er sah sich das nagelneue Fahrrad auf der Waschmaschine genau an. Das würde helfen. "Du spiessiges Miststück, mit deinem geputzten Rad" konnte er dann dabei denken. Dann schnappte er seine Tasche öffnete die Haustüre und drehte sich nochmal zu ihr um. Sie wünschte "eine gute Zeit". Er dachte "Leck mich doch am Arsch", und verschwand im Regen. Wenigstens das hatte Sie genau verstanden. Er fuhr zurück. Er brachte das Buch hinter sich und bemerkte nicht wie ihn der Regen verlassen hatte. Er stieg in Mannheim aus dem Zug, und der Schmerz und die Wut waberten hoch und sagten "Guten Tag, wir werden wohl eine ganze Weile bleiben". Er schwankte heim. Die schiefe Ebene war weg. Er lebte einfach weiter, als wäre nie etwas geschehen. Es gab andere Frauen, die nicht "Jutta" hiessen. Die ganze Welt war voll davon. Ausserdem begann er an einem Roman zu arbeiten. Kurz: er war all dem irgendwann erfolgreich entkommen. Nur dieser seltsame Regen aus Bitterfeld, holte ihn eines Tages ein... Es war drei Jahre später, als er auf einem Sofa sass, und in einen Fernsehapparat starrte. Es ging dort um etwas, wie immer. Dann sah er Sibylle Berg auf dem Schirm. Man konnte Sie sehen in einem riesigen Kleid. Normalerweise war es ihm egal was auf dem Schirm zu sehen war, aber diese Frau hatte sich in seine Netzhaut geäzt. Das war ein seltenes Erlebniss, denn sonst stand er der Welt mit unglaublicher Gleichgültigkeit gegenüber. (Seit seinem Besuch in Halle an der Saale) Draussen begann es zu tröpfeln. Er nahm einen Zahnstocher in den Mund und holte eine Packung "Fischermans Friend" und einen Schirm und ging hinaus. Diesesmal war er sicher, dass er von etwas davonlaufen musste. Er musste diese Frau schleunigst vergessen, denn Sie erinnerte ihn an etwas was er dringend nicht wissen wollte. Und so vergass er es. Aber ihm war, wie wenn die schiefe Ebene, die er in Halle an der Saale in diesem Regen gespürt hatte, wieder da wäre. Allerdings in umgekehrter Richtung. Je mehr er von dieser Frau entfernt sein wollte, desto näher kam Sie. Am nächsten Tag regnetet es immer noch. Er ging in ein riesiges Medienhaus. Gerade als er in einem Buch blätterte sah er ein Buch, genau vor seiner Nase. "GOLD" stand dort. Von "Sibylle Berg". "Die Welt ist nun mal voller Bücher" dachte er während er den Schirm aufspannte. "Wieso auch nicht von der? Heute schreibt ja jeder irgendwas..." Zwei Wochen später besuchte er eine Dichterlesung. Er wusste nicht wie die Frau hies. Die Lesung war schlecht. Danach pressten die Zuhörer noch ein paar Fragen heraus. Weil die Veranstalterin gesagt hatte, dass man jetzt eben noch etwas fragen könne (und fragen kostet nichts!). Er war bereits am hinausgehen, als eine ältere Dame die Schriftstellerin lobte mit den Worten: "Also ihre Worte haben so eine Wärme. Sie sind nicht wie diese Sibylle Berg. Diese Sibylle Berg ist irgendwie so kalt" Langsam begann er die Berg zu mögen. Vor allem wenn es zu regenen begann spürte er die schiefe Ebene. Nicht, dass er nun eines Ihrer Bücher zu lesen begann. Er machte etwas viel schwerwiegenderes. Eines Abends als es draussen schrecklich regnete und er sich leer und einsam fühlte, begann er ein e-mail an Sibylle Berg zu schreiben. Er schrieb eine Menge und er bekam eine knappe Antwort von ihr. Er mochte diese sehr kurzen Sätze. Und so schrieb er ihr wieder. Er wusste nicht warum Sie ihm antwortete, aber Sie tat es. Und so kam es, dass er zwischen seiner Arbeit an seinem Roman e-mails an Sibylle Berg verfasste. Eines Tages aber antwortete Sie nicht mehr. Er ignorierte es zunächst, aber dann konnte er nicht mehr an seinem Roman weiterarbeiten. So hackte er ins e-mail Fenster "Wo zum Teufel stecken Sie?". Dann bekam er eine Antwort auf die er erst recht nicht mehr weiterarbeiten konnte. Frau Berg behauptete nämlich, dass Sie vom Schwarzen Mann gefangengehalten würde, und Sie völlig verzweifelt sei. Was aber sollte man auf ein solches e-mail antworten? Aber immer wenn er sich an die Tastatur setzen wollte um zu arbeiten musste er an Sibylle Berg und den Schwarzen Mann denken, der sie Sie gefangenhielt. Was sollte er ihr nur raten? Wodka musste her! Eine halbe Flasche lang verharrte er vor der Tastatur. Dann lies er das e-mail Fenster aufschnappen und schrieb ihr folgende Zeilen: "Sagen Sie dem Schwarzen Mann, dass Sie eine Pizza essen wollen. Wenn Sie hören, dass der Pizza-Service kommt fangen Sie an zu schreien was das Zeug hält" Dann ging er auf SENDEN. Einige Tage später kam er spät Nachts nach Hause. Da stand Sibylle Berg in einem Vogelkäfig vor der Haustüre. Er bemerkte es gerade in dem Augenblick als er den Schlüssel herumdrehen wollte. Zuerst sah er den Käfig nicht, doch dann spürte er wie ihn jemand beobachtete. Wenn die Normalität wegbricht ist es gut sich an etwas zu halten was von dort kommt. Es sind dies jene seltenen Momente, liebe Leserin, lieber Leser, an dem wir, die Profis von den Amateuren unterscheiden können (Und diese Momente sind ja heute selten genug). Jedenfalls, hatte die Normalität einen gewaltigen Riss bekommen. Durch diesen Riss blickte er und so tat als sei die Welt in bester Ordnung. "Oh, Sie sind es" sagte er. "Es hat funktioniert. Das mit dem Pizza-Service. Ein Taxifahrer hat mich hergebracht" "Wir reden am Besten drinnen weiter..." sprach er, schnappte den Käfig und stellte ihn in seine Küche. Er brauchte jetzt wirklich dringend einen Wodka. Dann machten Sie ein wenig Smalltalk, bis er das Schild sah, dass an dem Käfig angebracht war: Das Öffnen dieses Käfigs |
||