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Christian Nürnberger

Als ich mein Kind bekam


Viele Menschen glauben, die Sterne bestimmten über ihr Schicksal. Bei mir war es nur das Ozonloch, zumindest in jener Schicksalsfrage, vor die sich fast jedes Paar im Lauf einer längeren Beziehung gestellt sieht: Kinder oder nicht? Und falls ja: Wann? Und vor allem: Wer kümmert sich?

Ich war Textchef in einem Wirtschafts- und Technologiemagazin, und war es gerne, bis ich zwei neue, etwas jüngere, ständig mit den Hufen scharrende Chefredakteure vor die Nase gesetzt bekam. Wie das bei solchen Leuten so ist, konnten sie keinen Text passieren lassen, ohne ihre eigene Duftmarke drüberzusetzen, und so blitzte eines Tages die Erkenntnis in mir auf: Du kannst auf der Karriereleiter so hoch steigen wie du willst, du wirst immer einen über dir haben, der dümmer ist als du, aber dem Irrglauben anhängt, „wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand“ und deshalb meint, dir vorschreiben zu müssen, was du zu tun hast.

Die Erkenntnis stürzte mich in eine tiefe Krise, aber Krisen sind ja dazu da, geläutert und gestärkt daraus hervorzugehen. Bei mir mündete die Krise in die fruchtbringende Frage: Ist es nicht viel sinnvoller, ein Kind in die Welt zu setzen, als für den Rest des Lebens in überflüssigen Magazinen überflüssige Texte zu redigieren und sich dabei mit eingebildeten Vorgesetzten herumzustreiten, die keine Ahnung haben?

Zum ersten Mal nistete sich eine bis dahin nicht gekannte Vorstellung in meinem Kopf ein: Aussteigen. Vater werden.

Die Vater Morgana verdichtete sich, als meine Chefs eine Überschrift von mir durch ihre eigene ersetzten, die da lautete: „Wie das Ozonloch seine Wunden leckt.“

Da fragte ich meine Frau: Wann, wenn nicht jetzt?
Wer soll sich kümmern? fragte sie.
Wer, wenn nicht ich? sagte ich.

Ein Jahr später hielt ich glücklich meine Mini-Tochter auf dem Arm und plante die Zukunft und sechs weitere Töchter.

Kleine Kinder schlafen viel, und während sie schlafen, kann ein Mann wie ich viele Bücher schreiben, dachte ich. Denn ich wollte zu Hause bleiben und nicht den Stress der doppelt belasteten Frauen auf mich nehmen, auch nicht die permanenten Gewissensbisse jener immer zahlreicher werdenden Männer, die ihre Energie 50:50 auf ihren Job und die Familie zu verteilen versuchen, woraus fast immer ein 100:100-Verhältnis erwächst. Den ganzen Tag feilen sie an ihren Excel-Tabellen und Powerpoint-Präsentationen, dann hetzen sie mit schlechtem Gewissen etwas früher als die Kollegen nach Hause, lassen sich schlechten Gewissens von ihrer angesäuerten, nervlich zerrütteten und auf eigene berufliche Ambitionen verzichtenden Ehefrau das Baby in die Hand drücken, spulen das übliche Abendprogramm ab und sinken ermattet ins Bett. Am nächsten Tag dasselbe Theater von vorn.

Das wollte ich mir ersparen. Ich kündigte meine gut bezahlte Festanstellung und gab ab sofort als Berufsbezeichnung „Hausmann und Vater und selbständiger Unternehmer“ an, überlegte kurz, ob ich mir neue Visitenkarten besorgen soll, aber ließ es dann bleiben.

Als Erstes, dachte ich, werde ich ein Buch über mein Leben als Hausmann und Vater schreiben. Seht her, werde ich Alice Schwarzer und den anderen Frauen mitteilen: Hier bin ich, der neue Mann, ein Held unserer Zeit! Während meine Frau im Sender Karriere macht, schmeiße ich den Haushalt und ziehe ein paar Kinder groß. Mir nach, werde ich meinen Geschlechtsgenossen zurufen, wir sind die wahren Revolutionäre. Die Supermänner! Man wird uns bewundern, man wird uns verehren, die Leute werden uns in den Bundestag wählen und als Kanzlerkandidaten vorschlagen. Die ganze Gesellschaft wird sich von Grund auf verändern, und wir, wir werden nicht nur dabei, sondern die eigentlichen Akteure gewesen sein.

Der Mann von der Sparkasse sah das alles ein bißchen enger, sah nur, dass auf meinem Konto seit Monaten nichts mehr einging und fragte mich deshalb, ob ich arbeitslos sei. „Aber überhaupt nicht“, sagte ich, „ich habe mich nur selbständig gemacht“. Im Jahr 2000 hätte mich der Banker vermutlich mit einer Million Mark Venture Capital überschüttet und gefragt, wann ich mein Start-up-Unternehmen an die Börse bringe. Damals aber, 1990, war mein Banker noch altmodisch, und darum kürzte er mir erst einmal die Kreditlinie.

Egal, denn nun war klar: Ich muss jetzt sofort einen Bestseller schreiben. Noch unklar war, wann ich das tun sollte. Mein Kind schlief wenig, schrie viel und unangenehm laut. Musste gewickelt, gebadet, an die frische Luft gebracht und zum Stillen zweimal pro Tag zur Mutter in den Sender gefahren werden. Schlief es doch einmal, schlief auch ich, jedoch immer nur so lange, bis jemand an der Haustür klingelte, der Hund bellte, das Telefon düddelte und das Baby schreiend aufwachte. Das war gut, denn ich hatte ja noch den Haushalt zu erledigen. Einkaufen, putzen, kochen, waschen, bügeln – alles wichtige neue Erfahrungen im Leben eines neuen Mannes. Aber wann sollte ich je darüber schreiben?

Einmal musste meine Frau im Münchner Prinzregentheater zusammen mit August Everding den Bayerischen Fernsehpreis moderieren. Problem: Ab 18 Uhr sitzt sie in der Maske, vor Mitternacht kommt sie aus dem Theater nicht mehr heraus, aber irgendwann dazwischen muss das Kind gestillt werden. Ich schiebe also das Kind mit dem Buggy in Richtung Prinzregentenplatz und treffe auf einen Polizeikordon. „Ja, wo woll’n denn Sie hin“, fragt mich ein Polizist.

„Da rein will ich“, antworte ich.

„Na, da kemmans net rei“, sagt er, „da brauchen’s schon a Einladung“.

„Hab’ ich nicht“, sage ich, „ich muss aber trotzdem rein, sonst verhungert mein Kind. Da drin sitzt ihre Mutter und wartet, dass ich ihr das Kind zum Stillen bringe“.

„Ja so a ausgschamte Ausred’ hob i mei Lebtag no ned g’hört“, sagt der Mann in Uniform, „schaun’s dass weiterkemma“.

Jetzt muss ich tatsächlich diskutieren mit diesem Menschen, ich bringe ihn immerhin dazu, dass er anfängt zu telefonieren, aber das dauert. Wie durchdringt man unbemerkt feindliche Stellungen? Hab’ ich doch gelernt auf dem Offizierslehrgang bei der Bundeswehr. Ich beurteile die Lage, schiebe weiter und erkenne eine Lücke im Sicherheitsring der Polizei. Durch diese Lücke schlüpfe ich und komme bis vor den Eingang des Theaters.

Zwei Welten prallen aufeinander. Ich in Jeans und offenem Hemd mit Kind im Buggy auf der einen Seite, mir direkt gegenüber die schwarzen Karossen, denen der Ministerpräsident, Veronika Ferres, Iris Berben und viele weitere Abendroben entsteigen. Die Fotografen, promigeil und darum blind für mich, stürzen sich auf die Abendroben.

Das allgemeine Durcheinander, das nun entsteht, nutze ich, um in dem Kuddelmuddel unterzutauchen und mich an dem Fotografenknäuel und Blitzlichtgewitter vorbei durch die Tür zu zwängen. Ich bin drin. Niemand achtet auf mich. Niemand wundert sich über den Mann mit dem Buggy, nur einer vom Sicherheitsdienst beäugt mich misstrauisch. Vorne sehe ich Otfried Fischer herumlaufen. Noch bevor der Sicherheitsmensch mir unangenehme Fragen stellen kann, frage ich ihn, wo es hier zur Maske geht, ich hätte gleich einen Auftritt in einem Sketch mit Otfried Fischer. Der Mann von der Sicherheit setzt zu einer langatmigen Erklärung an, in die hinein ich sage: „Ah, da vorn läuft der Fischer ja, ich häng’ mich am besten gleich dran an ihn.“

Ich schiebe mich an Fischer ran, begrüße ihn, zum Glück kennen wir uns, der Mann von der Sicherheit sieht, dass wir uns kennen, und ich kann endlich unbehelligt mein Kind vor dem Verhungern retten. Während des Stillens kam dann noch ein älterer Diplomat von der russischen Botschaft versehentlich in die Garderobe kam, erblickte eine stillende Frau in der Abendrobe, erbleichte, errötete, erbleichte, es war ein hübsches Farbenspiel, und ergriff, als er wieder zu sich kam, die Flucht. Von solchen Geschichten hätte ich noch mehr erzählen können, aber erst jetzt, 12 Jahre später, komme ich dazu, sie aufzuschreiben, denn wer von den körperlichen Bedürfnissen eines Kleinkinds durch die Welt gehetzt wird, kommt zu nichts anderem mehr.

Nach einjährigem Martyrium war ich sichtlich gealtert und des Heldentums ein bißchen müde. Alice Schwarzers Emma wählte mich nicht zum Mann des Jahres. Die Medien ignorierten meine revolutio-näre Tat, Franz Josef Wagners Bunte machte unsereinen als Softi, Schlaffi und Hänger nieder, feierte die Powerfrauen, und der Literaturbetrieb fand Popliteraten interessanter, die von morgens bis abends nichts anderes zu tun haben, als darüber nachzudenken, auf welche Party sie gehen und was sie dafür anziehen.

Ich mied Parties eher, nicht nur aus Müdigkeit und Zeitmangel, sondern auch, weil ich die Partyfrage fürchtete: „Und was machst du denn so?“

Antwortete ich wahrheitsgemäß, teilte sich die Menschheit in vier Lager: Die üblichen Männer, alle-samt ausgestattet mit Job und Sekretärin und Dienstwagen, guckten etwas ratlos und verwundert und fügten noch ein wenig allgemeines Gerede an, um sich dann möglichst schnell zu verabschieden und wichtigere Gesprächspartner zu suchen. Die Sensibleren brachen in Rufe des Erstaunens aus und versicherten mich ihrer Bewunderung und sagten, dass sie meinen Mut ganz toll fänden. Unausgesprochen sagten sie damit aber, dass sie diesen Mut für Blödheit halten. Unausgesprochen sagten sie, dass sie für sich selbst die Option Hausmann und Vater kategorisch ausschließen. Unausgesprochen sagten sie: Ich hab’ doch nicht zwölf Semester studiert, um anschließend zu Hause das Clo zu putzen. Und unausgesprochen sagten sie damit auch noch: Wir wollen zwar auch mal Kinder haben, aber dann werden wir dafür sorgen, das unsere Ehefrauen zu Hause bleiben oder auf einen Halbtagsjob umsatteln. Unsere Ehefrauen haben zwar auch eine teure Ausbildung, aber denen ist diese Arbeit, da sie ja Frauen sind, naturgemäß eher zuzumuten.

Und dann gab es noch jene ältere Dame, die selber einen Sohn in meinem Alter hat. Das Ansinnen ihrer akademisch gebildeten Schwiegertochter, ihr Sohn möge es mir gleichtun, wehrte sie mit dem Argument ab: „Na, fürs Windelnwechseln hat mein Bub doch nicht studiert.“ Und dann schob sie noch nach: „Ein Mann, der sich von seiner Frau ernähren lässt, ist kein richtiger Mann.“

Da waren mir die jüngeren Frauen dann doch lieber, die sich ehrlich begeistert zeigten, so sehr, dass sie später in Kleingruppen meiner Frau von dem „süßen Mann“ vorschwärmten, den sie sich da an Land gezogen hatte - während ich mich fühlte wie ein Streber, dem seine Tanten zufrieden übers Haar streichen.

Männer im Film und in der Werbung segeln, snowboarden, saufen, huren und prügeln sich. Ich aber wickelte mein Baby und machte die Wäsche. Und den Bestseller, in dem steht, wie man Karriere und Familie problemlos unter einen Hut bekommt und dabei auch noch singt, hat dann das Superweib Hera Lind geschrieben. Fragt man sich doch klammheimlich: Wieso schafft die das?

Ich beendete mein freiwilliges soziales Jahr, wir engagierten Putzfrau, Babysitter, eine Tagesmutter , und arbeitete wieder als Journalist, von zu Hause aus. Aber so wie vorher wurde es nie wieder, zumal wir unser Kind nicht alleine aufwachsen lassen wollten und drei Jahre später das zweite kam.

Inzwischen weiß ich: Die Arbeit hört nie auf. Auch mit Putzfrau, Babysittern und Au-pair-Mädchen besteht der Alltag des zu Hause arbeitenden Mannes aus so viel Organisation und Improvisation, dass er kaum dazu kommt, seinen eigentlichen Job zu machen. Das Leben ist ausgefüllt mit Arztbesuchen, Zahnspangenkorrekturen, Elternabenden, Pausenbroten, Hausaufgaben, Schulkonzerten, Kindergeburtstagen und Nachhilfestunden. Das sensible und kostbare Personal muss gut behandelt, beschenkt, effizient geführt und häufig neu organisiert werden, da es spontan zu anderen Plänen neigt und nicht selten über Nacht abhanden kommt. Installateure, die nicht kommen wollen, verlangen ein hohes Maß an Zuwendung. Die Klavierlehrerin schätzt es, von mir mit Kaffee und Kuchen bewirtet und ein bißchen unterhalten zu werden, und schließlich ist da noch die voll berufstätige Ehefrau, die abends nach Hause kommt und nicht nur ein köstliches Mahl auf dem gedeckten Tisch erwartet, sondern auch eine aufgeräumte Wohnung, sauber gewaschene Kinder und einen entspannten Ehemann, welcher die vom Job gestresste Ehefrau charmant lächelnd mit einem Aperitif empfängt und in die Arme nimmt.

Seit ich all diese Anforderungen kenne, welche jahrhundertelang allein den Frauen oblagen, bin ich ein Feminist, verstehe das Gejammere der Frauen über ihre Doppelbelastung und beneide die Männer, die morgens die Tür hinter ihrem häuslichen Chaos schließen und unter Hinterlassung eines verschmierten Frühstückstisches in ihre sauberen, aufgeräumten Büros enteilen, wo schon die Sekretärin mit dem frisch gebrühten Kaffee wartet. Ich ertappe mich dabei, wie ich abends meiner heimkehrenden Gattin ein schlechtes Gewissen mache, indem ich sie mit schlechter Laune empfange und mit Berichten überfalle, die schildern, was wieder alles schief gelaufen ist während des Tages und warum ich kaum zu meinem eigentlichen Job des Schreibens gekommen bin.

Außerdem machte ich die Entdeckung: Auch wenn ein Mann sich die Familienarbeit mit seiner Frau partnerschaftlich teilt, bleibt der Mann ein Mann und darum zuständig für den gesamten exponentiell wachsenden Technikschrott im Haus. Das Auto muss rechtzeitig zum TÜV, der Ölwechsel ist fällig, die Heizung kaputt, ein ISDN-Anschluss soll ins Haus, das Fax braucht eine neue Tintenpatrone und die Gattin ihre eigene E-Mail-Adresse. Männer sind nicht nur doppelt belastet, sondern dreifach belästigt!

Die Frauen haben es geschafft, uns die Hälfte ihrer Zuständigkeiten aufzunötigen, ohne uns von unseren alten zu entlasten. Ich nehme den Feministen zurück: Eigentlich bräuchten wir eine Maskulinistenbewegung. Die wird es aber nie geben, für so was haben wir Männer im Pflichtenkorsett gar keine Zeit, und außerdem sind wir viel zu wenige.

Vor ein paar Jahren noch beneidete ich die Manager. Die haben für all diese würdelosen Beschäftigungen genügend Angestellte und ihre Ehefrau, dachte ich, und können sich daher ganz auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren: Großes zu leisten, wie ein richtiger Mann. Aber manchmal haben wir solche Manager bei uns zu Gast. Dann kommt es gelegentlich vor, dass der Gatte verhalten hadert, er würde auch gerne öfter so eine Einladung geben, aber seine Frau „packt das nicht“. Worauf diese ihm laut schweigend mit funkelnden Blicken zu verstehen gibt: Ich habe auch meinen Job, und wenn du endlich bereit wärst, mal zum Einkaufen in die Metro zu fahren und wenn du in der Lage wärst, ein Stück Fleisch ordentlich zu garen und ein vernünftiges Ratatouille termingerecht auf den Tisch zu bringen, dann hätten wir auch Gäste. Die Angetraute denkt eben im Traum nicht mehr daran, ihrem Kerl den Rücken freizuhalten, damit er an seiner Karriere stricken kann.

Nicht einmal Cherie Blair sieht das ein. Die hat nach der Geburt ihres vierten Kindes ihrem Tony ge-sagt, er solle gefälligst Erziehungsurlaub nehmen und ihr beim Windeln helfen. Blair verstand einerseits, dass von Gesetzen, die er selber gemacht hat, auch er Gebrauch machen dürfte und in diesem Fall auch sollte, schon um der Wählerinnen willen. Andererseits dachte er an seinen kinderlosen Rivalen William Hague von den Tories, der viel Zeit hat und nur darauf wartet, ihm das Gesetzemachen abzunehmen. Blairs Kollege Bill Clinton meinte dazu, dass Erziehungsurlaub vielleicht gar nicht nötig sei, schließlich wohne Blair sozusagen „über dem Geschäft“ und könne jederzeit von seinem Schreibtisch aufspringen, wenn das Kind ein Stockwerk höher brüllt.

Wir wissen nicht, wie es Blair nun macht, wenn sein Kind schreit, während er am Telefon gerade mit Herrn Prodi neue Sonderrechte für seine Briten aushandelt. Wir wissen nur: So wie Blair geht es vielen Männern. Die Cheries werden immer mehr.