Buchtipps für Kinder und Jugendliche, ausgewählt von Sibylle Schäfer Hinaus in die Welt für Groß und Klein! Die Büchertipps umfassen diesmal ein abenteuerliches Jugendbuch und spannend-nachdenkliche Bilderbücher für kleine und große Leser. (A) Auch für Jungs! Katja Behrens - Hathaway Jones Hathaway Jones zieht mit seinen Maultieren regelmäßig die selben Runden. Beharrlich reitet er immer die gleiche Strecke ab: er bringt den Farmern und Goldgräbern Proviant, Schmuck und die Post vorbei. Seine eigene Vergangenheit ist für ihn vage, er kennt weder seinen Geburtstag noch sein ganz genaues Alter. Er ist irgendetwas zwischen dreizehn und vierzehn Jahre alt. Hathaway Jones lebt mit seinem Vater in einer armseligen Hütte, seine Mutter ist schon lange tot. Zu seinen gleichförmigen Runden gesellt sich eines Tage ein neues Gesicht: Flora Dell. Er verliebt sich in das Mädchen, das in dieser rauhen Umgebung ein Klavier besitzt und diesem Instrument wundervolle Töne entlockt. Fortan bestimmen die Gedanken an Flora Dell seinen Ritt zu den verschiedenen Farmen. Hathaway Jones ist ein Beobachter, der auf seinen Reisen auch für ihn gefährliche Ereignisse mitbekommt und somit in die Konflikte zwischen den einzelnen Farmern hineingezogen wird. In poetischer, sanfter Sprache beschreibt Katja Behrens den verliebten Zustand Hathaway Jones’. Ebenso feinfühlig sind ihre Naturbeschreibungen: überwältigende Canyons, kleine quirlige Bäche und gedämpfter Waldboden. Die Größe und Dramatik der Ereignisse liegt oftmals in kurzen, angedeuteten Momenten und sanften, aber gestochen scharfen Beschreibungen und Bildern. Innere und äußere Handlung gehen fließend ineinander über. Die Stimmungen der Zeit des Goldrausches und des amerikanischen Farmerlebens sind packend festgehalten. Katja Behrens gelingt es mit ihren stimmungsvollen Naturbeschreibungen, die Kargheit des damaligen Pionierlebens sprachlich darzustellen. Sie setzt akzentuierte Vorausdeutungen, die das Zeitkolorit wiedergeben und deshalb nicht künstlich konstruiert wirken. Einfühlsam wird die Gefühlswelt eines Pubertierenden dargestellt, der zum ersten Mal verliebt ist und seine Gefühle noch nicht einzuordnen weiß. Ein Buch, das durch das Flair von Goldgräberstimmung und Abenteuer sicherlich auch männliche junge Leser anspricht. Katja Behrens Hathaway Jones Beltz & Gelberg, Weinheim u.a. 2004, TB 6,90 Euro ab 12 Jahren 2003 nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie Jugendbuch (B) Bilderbücher Für kleine (und große) Leser 1. Wolf Erlbruch / Dolf Verroen - Ein Himmel für den kleinen Bären ‚Pointierte Kargheit’ könnte man die Illustrationen benennen, mit denen Wolf Erlbruch den Text von Dolf Verroen begleitet. Die Zeichnungen beschränken sich auf das Wesentliche und kommen ohne umfangreiche Hintergrundausschmückung aus. Sie sind aber an den entscheidenden Stellen verfeinert bis in das kleinste Detail. Erlbruchs Stil ist die treffende Ergänzung zu einem Thema, das oft noch bei der Vermittlung an Kinder als heikel angesehen wird und gesellschaftlich mit einem Tabu belegt ist: Was ist, wenn man stirbt? Erlbruch / Verroen bieten mit "Ein Himmel für den kleinen Bären" eine liebevolle, warmherzige und Vertrauen erweckende Erklärung, wie der Bär seinem verstorbenen Großvater nahe sein kann. Was geschieht: Großvater Bär ist tot. Die Bärenmama erzählt dem kleinen Bären, dass Großvater nun im Bärenhimmel sei, worauf sich der kleine Bär aufmacht, den Großvater zu suchen. Doch alle Bemühungen des kleinen Bären zu sterben, um in den Bärenhimmel zu kommen, sind vergeblich. Ob Krokodil, Giraffe oder Tiger, keiner ist bereit, den kleinen Bären in den Bärenhimmel zu befördern. Wie es der kleine Bär am Ende aber doch schafft, seinem Großvater nahe zu kommen, wird in diesem Buch einfühlsam erzählt und liebevoll gestaltet. So räkelt sich etwa der riesige orange-schwarze Tiger faul durch das Bild und ist schlicht zwischen Bambusstäbe gesetzt. Weder die kleine Fliege noch das Bärenkind vermögen ihn aus seiner Lethargie zu reißen. Wie sich der Tiger durch das besagte Bild räkelt, schmiegen sich die Zeichnungen dem Text perfekt an und "kommentieren" ihn dabei auf ihre ganz eigene, unverwechselbare Weise. Längst ist der Stil als "der Erlbruch" anerkannt. Ohne Einschränkung ein Buch für den Bilderbuchhimmel. Wolf Erlbruch / Dolf Verroen Ein Himmel für den kleinen Bären Hanser, München u.a. 2003 12,90 Euro ab ca. 4 Jahren 2. Matthias Fuhrmann / Alexis Derchain - Brummi der Bär in Not Brummi der Bär macht seinem Namen alle Ehre. Als brummeliger Einzelgänger lässt er keinen anderen Bären in seine riesige Höhle. Und selbst den einzigen Vogel, der es wagt, vor seiner Höhle zu singen, verjagt er. Soviel Hochmut führt sprichwörtlich zum Fall. Als Brummi eines Tage bei seinem Spaziergang unachtsam ist, fällt er in eine Grube und verletzt sich seinen Fuß. Als er so alleine und hilflos in der Falle sitzt, kommt Brummi ins Nachdenken und bemerkt, dass er sich bisher gegenüber seinen Bärenfreunden falsch verhalten hat. Wie soll Brummi sich nun aus dieser Misere befreien? Dieses Buch ist in Aufbau und Aussage klar konzipiert. Die Handlung wird konsequent vorangetrieben. Die wichtige Botschaft von sozialkompetentem Verhalten verhallt somit nicht zwischen den Zeilen, sondern kommt bei den kleinen Zuhörern an. Wobei der Bär als handelnde Identifikationsfigur für die kindliche Fantasie bekanntermaßen sehr gut geeignet ist. Die Kinder können mit Brummi mitleiden, wie er es wohl schafft, aus der Notlage herauszukommen und ob und was für eine Lehre er daraus zieht. Die sehr ansprechenden Zeichnungen von Alexis Derchain tun ihr übriges. Sie sind hauptsächlich in Erdtönen gehalten und geraten nie in Gefahr, die Grenze des Kitsches zu überschreiten. Sie sind hell und freundlich und wirken wie von leichter Hand hinaquarelliert. Ein besonderes Plus ist das beigefügte Bärenpuzzle mit einem Motiv aus dem Buch. Es ermöglicht die spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema des Buches und beweist von neuem die Wichtigkeit von Büchern für die kindliche Fantasie. Ein beachtenswerter Neuling. Matthias Fuhrmann / Alexis Derchain Brummi der Bär in Not C.V Traumland-Verlag, Schloss Holte-Stukenbrock 19,50 Euro (inclusive Puzzle) ab 4 Jahren 3. Paul Maar / Peter Gut Wer ist der Größte? Dieses Bilderbuch enthält genau genommen zwei Geschichten: Die der beiden Inuit-Jungen Enuki und Jonah und die des überheblichen Mondes. Beide Geschichten sind durch die Ausgangsfrage "Wer ist der Größte?" ineinander verwoben. Enuki und Jonah kommen von der Schule und streiten sich darüber, wer von beiden der Größere sei. Sie gehen zu Enukis Großmutter, die bei der Lösung dieser Frage behilflich sein soll. Doch die Großmutter beginnt erst einmal eine Geschichte zu erzählen. Vom Mond, der sich für den Größten hielt. Er war solange von seiner unübertrefflichen Größe überzeugt, bis eine aufmüpfige Wasserpfütze sein Selbstverständnis ins Wanken bringt. Doch kaum sonnt sich die Wasserpfütze im Glanz, die Größte zu sein, taucht ein vorwitziger Hase auf. So reihen sich die Protagonisten aneinander, bis jemand auf den Plan tritt, der dem Ganzen Treiben ein Ende bereitet. Der Geschichte vom selbstgefälligen Mond liegt eine alte Erzählung der Inuit zugrunde, die von Paul Maar im Rahmen seiner Darstellung der beiden Jungen neu erzählt wird. Die Illustrationen von Peter Gut sind der Stimmung des Buches entsprechend hauptsächlich in gedämpften Blau- und Brauntönen gehalten. Der Hase ist etwa einmal als schüchtern aussehendes Kuscheltier und dann wieder als übermütiger Großkotz treffend charakterisiert. Der Mond erhält eine verblüfft-misstrauisch aussehende Grimasse. Den jeweiligen Begebenheiten entsprechend sind die Charaktere bildnerisch dargestellt. Hervorzuheben ist, dass dieses Buch die Kinder auf spannende Weise an die Kultur der Inuit heranführt und sie ihnen nahe bringt. Die Geschichte gleicht einer Fabel, die nicht nur viel Spaß beim Lesen bereitet, sondern auch anschließend zum Nachdenken und Diskutieren anregt. Paul Maar / Peter Gut Wer ist der Größte? Oetinger, Hamburg 2004 12,90 Euro ab 4 Jahren 4. Johann Wolfgang von Goethe / Peter Schössow Meeres Stille und Glückliche Fahrt Genaugenommen passiert in diesem Buch nicht viel. Ein Schiffer auf dem Meer wartet bei "Meeres Stille" auf den Wind, der ihn weitertragen soll. Als dieser endlich aufkommt, kann er zu einer "glücklichen Fahrt" aufbrechen. Genau dieses Stimmung vermag Peter Schössow mit seinen Illustrationen vortrefflich einzufangen. Das immer gleiche Motive des Seemanns auf dem Meer wird in verschiedenen Perspektiven gezeichnet. Minimalistisch werden kleine Nuancen im Handlungsablauf gesetzt: der Seemann, der vergeblich in alle Richtungen Ausschau hält. Augenscheinlich ist, dass Schössow mit Komplementärkontrasten arbeitet. Schon auf dem Einband ist die gelungene orange/blau Kombination auffällig. Fein skizzierte Licht- und Schattenspiele entführen den Betrachter aufs Meer hinaus. Er spürt die diesige Ferne und kann seine Gedanken so weit schweifen lassen, wie das Meer erscheint. Die kurzen Gedichte Johann Wolfgang von Goethes lassen dem Leser viel Raum, eigene Gedanken in die Zeichnungen einzubringen. Ein gelungener Beleg dafür, dass schon Kinder mit großen Klassikern konfrontiert werden können. Die gelungene Kombination aus Wort und Bild kann Kinder und Erwachsene gleichermaßen begeistern. Dieses Bilderbuch ist im wahrsten Sinne des Wortes ein sehr ruhiges und stilles Buch, das dem Vorlesenden viel Raum gibt, mit den Kindern in einen Dialog zu treten. Ein Kleinod in einer immer hektischer werdenden Welt. Johann Wolfgang von Goethe / Peter Schössow Meeres Stille und Glückliche Fahrt Hanser, München u.a. 2004 12,90 Euro ab 4 Jahren |
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