Ursula Tallafuß Die ausgelöschte Hausfrau Morgens früh um sechs steht sie auf, als erste. Sie stellt den Kaffee zu. Sie holt die Zeitung. Sie richtet Brot und Butter, Marmeladen, Schinken und Cornflakes. Sonntags gäbe es noch ein Ei dazu, aber heute ist Montag und in einer halben Stunde wird die Familie am Tisch sitzen. Sie nimmt sich einen Kaffee, gießt Milch hinein und setzt sich um die Zeitung zu lesen. Eine Zigarette dazu. Dann muss sie aufs Klo. Sie geht leise durch das Vorzimmer, niemand soll geweckt werden. Am Klo sieht sie ihr Fett links und rechts über die Brille hängen. Vier mal vier Obsttage, sagen wir sie hätte vier mal vier Obsttage gemacht, das wären dann ca. fünf Kilo weniger. Dann noch sieben mal sieben Gemüsetage, 16 Kilo, und acht Safttage, 3 Kilo. Das wären 103 minus 24 Kilo, sind 79. Immer noch zuviel. Eine Hautstraffung und Cellulitisentfernung, zwei Kilo, 13mal laufen gehen, 2 Kilo, sind fünfundsiebzig. Eine schwere Darmgrippe : fünf Kilo. 12mal schwimmen gehen: 3 Kilo. Das sind dann 67 Kilo und das hält sie ein Leben lang. Erleichtert drückt sie die Spülung. Jetzt kann sie in Ruhe die Zeitung fertig lesen und da kommen sie auch schon. Ein dahin gemurmeltes "Morgen", schnell ein Semmerl, ein paar Schluck Kaffee und weg sind sie. Kleidergröße 38. Hohe Schuhe, enger Rock, Dekolletee, bewundernde Blicke. Vorher: Busenstraffung. Sie räumt das saubere Geschirr aus dem Spüler, dann das schmutzige Frühstücksgeschirr hinein. Die Lebensmittel stellt sie zurück auf ihren Platz, sie kehrt den Boden, alles voller Brösel, bis hinaus in den Flur. Jetzt zur Waschmaschine. Sortieren in dunkel, bunt und weiß. Dunkel gewinnt. Pulver rein, Kurzwaschgang. Sie gewinnt. Einhunderttausend Euro. Dann nochmals Fünfhunderttausend. Gut, dass sie ein Klassenlos hat! Macht Sechshunderttausend. Damit gewinnt sie im Kasino. Kombination: Schwarz, schwarz, rot. Sind 2,4 Millionen Euro. Sie räumt das Essen wieder hervor und isst, was übrig ist. Dabei liest sie die Zeitung. Häuser zu verkaufen: Das Größte für sie. Was wird sie heute Kochen? Etwas zum Aufwärmen. Die Familie kommt zu unterschiedlichen Zeiten nachhause. Saftschnitzerl mit Nudeln, dazu Salat, danach Pudding. Die Türen gehören geputzt. Sie holt Eimer und Lappen, ein Spritzer Putzmittel. Beginnend mit der Küchentür putzt sie sich im Kreis. Neun Türen hat die Wohnung. Das geht sich aus bis zum Kochen. Wie reich ist eigentlich wirklich reich? Sie ist heute großzügig und überweist sich eine Milliarde Euro. Das ist reich genug. Kinder, Enkelkinder, Urenkel und Mann wären rundum versorgt und sie hätte keine Probleme mehr, nichts zu verdienen. Bei der dritten Tür kommt die Fee und fragt, was sie sich heute wünsche: Dreimal drei Wünsche, im Bereich sie, wieder sie und die Familie. Perfekte Figur; straffe, glatte Haut, schöne weiße Zähne. Einen Beruf, tanzen können, gut Auto fahren können. Bis zu Tür sieben tanzt sie im Geiste. Sie dreht sich Musik auf, Tango, trägt ein raffiniert geschlitztes, rotes Kleid, schreitet vor, mit ihrem Mann, dem begnadeten Tänzer, sie ist dabei so selbstvergessen, dass sie die staunenden, bewundernden Blicke der anderen gar nicht bemerkt. Tür acht und neun werden schnell geputzt, sie hat Lust auf eine Zigarette. So, jetzt kochen, Töpfe aufstellen, Zutaten verarbeiten. Wünsche für die Familie: fünf Minuten am Tag miteinander lachen, dreimal in der Woche befriedigenden Sex, Verständnis füreinander, ein Leben lang. Im Kopf trifft sie ihre Jugendliebe wieder. Ein Blick genügt, sie fühlen dasselbe. Sie sind sich überhaupt sehr ähnlich. Nichts muss ausgesprochen werden, alles ist klar, einfach. Sie fühlt sich angenommen. So eine Liebe hält ein Leben lang, vorausgesetzt, sie ist nie passiert. Das Essen muss gekostet werden. Vorsichtshalber kostet sie ein ganzes Schnitzel. Gut, dass sie gleich mehr eingekauft hat. Kochen kann sie, das muss man ihr lassen. Man wird es ihr auch lassen, niemand sonst hier interessiert sich fürs Kochen. Die Post. Sie hört die Post durch den Briefschlitz fallen. Sie bezähmt den Impuls, gleich zur Tür zu laufen und räumt vorher die gebrauchten Kochutensilien weg und wischt die Arbeitsfläche sauber. Sie setzt sich an den Tisch: Rechnung, Rechnung, Werbung, mehr Werbung, eine Postkarte für den Sohn. Die Rechnungen macht sie nicht auf, sie sind an ihren Mann adressiert. Die Postkarte schaut sie sich von vorne an. Bella Italia! Sie seufzt. Ihr letzter Urlaub ist schon so lange her, dass er gar nicht mehr wahr ist. Sie schnappt sich die Werbung ihrer Lieblingslebensmittelkette. Von jeder Seite darf sie sich zwei Dinge aussuchen, die bekommt sie dann gratis, fürs ganze Leben. Sie wählt die Sachen, die das Überleben garantieren. Essen, Trinken, Toilettartikel. Fertig. Wirklich behalten darf sie nur die Sachen, an die sie sich jetzt noch erinnern kann. Sie schafft acht, dann verliert sie das Interesse. Jetzt muss der Pudding gemacht werden. Die Kinder mögen ihn mit Haut, der Mann ohne. Den Pudding für den Mann wird sie also später frisch machen. Jeden Moment müssten die Kinder da sein. Sie läuft noch schnell einmal durch die Wohnung und sammelt Liegengelassenes vom Boden auf. Sie sortiert die Sachen nach Besitzer. Ein blaues Tuch gehört ihr. Die anderen Sachen legt sie auf die zugehörigen Betten. Sollen sie sie doch selber wegräumen, ein bisschen Ordnung muss sein. Sie hört die Kinder die Treppe heraufkommen. Sie stellt das Essen auf den Tisch und begrüßt den Nachwuchs mit: "Na, wie war`s in der Schule?" "Eh normal", kommt als Antwort zurück. Die beiden setzen sich zum Essen, schaufeln es hinein und lesen dabei eine Zeitschrift. Die Mutter sieht zu. "Ich muss lernen gehen". "Ich auch." Die Kinder stehen auf. "Hat es euch wenigstens geschmeckt?", fragt die Mutter. "Ein bisschen zäh war`s schon", sagt der eine. "Wollt ihr denn keinen Pudding?" "Später", rufen beide und verschwinden in ihrem Zimmer. Die Mutter setzt sich und isst die Reste ihrer Kinder auf. "Wäre doch schade drum", denkt sie sich. Jetzt wird sie wieder die Küche aufräumen, dann ein bisschen bügeln und dabei fernsehen. Die Kinder sind heute Nachmittag bei Freunden. Der Mann hat ihr versprochen, mit ihr heute den Großeinkauf für die ganze Woche zu machen, falls er Zeit hat. Die Einkaufsliste hat sie gestern schon geschrieben. Hoffentlich hat er Zeit. Sonst kauft sie sich eben das neue Rätselheft, staubt die Bilder ab und ruft ihre Freundin an. Die wird heute aber wenig Zeit haben, sie hat Besuch von den Verwandten. Die Verwandten des Mannes kommen am Sonntag zum Essen. Bis dahin muss die Wohnung blitzen, in solchen Dingen kennen sie keine Gnade. In anderen eigentlich auch nicht. Sie denkt an ihre Mutter. "Mir wird das nicht passieren, mir nie! Ich werde keine Hausfrau, zumindest nicht mein Leben lang", hat sie immer zu ihrer Mutter gesagt. Archäologin wollte sie werden, damals. Schade, dass ihre Mutter schon tot ist, sonst könnte sie sie anrufen und ihr von dem sensationellen Fund erzählen, den sie gestern in Ägypten gemacht hat und ihr ein Foto schicken: Sie mit einer Schaufel in der Hand, im schicken braunen Hosenanzug, dahinter stehen die Männer, die bei den Grabungen geholfen haben und lächeln sie an. Sie schnappt sich eine Tafel Schokolade. So, die hat sie sich verdient. Dann erst wird sie Bügeln. |
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