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Susan-Barbara Hofer
Kindheitserinnerung

Wenn ich in meinen Kindheitserinnerungen nach der „typischen“ Hausfrau suche, werde ich sofort fündig.
Meine Mutter war schon mal keine, wie ich im Alter von 5 Jahren feststellte. Sie trug nämlich nie eine Küchenschürze, weder beim Kochen, noch beim Putzen. Und dick war sie auch nicht.
Eine richtige, echte und leibhaftige Hausfrau, die meinen kindlichen Vorstellungen voll und ganz entsprach (es ja ein bisserl heute noch tut, natürlich mit dem dazugehörenden Augenzwinkern) lebte nur einen Spaziergang weit von unserer Familie entfernt.
Diese Hausfrau wurde von uns allen auch noch so genannt. Und obwohl wir genau wußten wie sie mit Vor- und Nachnamen hieß, war sie doch die „Hausfrau“ die wir besuchten und die uns Kindern den besten Griesbrei der Welt kochte. Meine Großmutter wohnte bei ihr in zwei kleinen Zimmern zur Untermiete und weil ich meine Wochenenden am liebsten bei ihr verbrachte, habe ich eine sehr genaue und ebenso verklärte Erinnerung an diese Frauenwohngemeinschaft. Martha Lipp (das war ihr Name) trug immer eine Schürze, wenn sie in ihrem Reich schaltete und waltete. Zu Ihrem Hoheitsgebiet gehörten ein großes Haus und ein riesiger Garten. Es gab auch einen Mann und einen, für mein damaliges Empfinden, schon erwachsenen Sohn. Irgendwie habe ich von ihnen eher wenig mitgekriegt, denn sie lebten leider nicht lange (hier spricht
natürlich wieder mein kindliches Erleben). Ich weiß nur noch um die grosse Trauer, die bei ihrem Tod geherrscht hat.
Aber auch nach diesen tragischen Todesfällen wurden wie eh und je Marmelade und Säfte von Beeren aus Wald und Garten hergestellt, Holzvorrat für den Winter angelegt, die Wäsche gebügelt und gestärkt, ehrenamtliche Gemeinde- und Nachbarschaftshilfe geleistet, der Enkel betreut und die Bankgeschäfte geregelt. Es wurde Gemüse angebaut, geerntet und konserviert und bei kleineren Krankheiten und Verletzungen war der passende Kräutertrunk, bzw. Hausmittel sofort zur Hand. Auch die heißgeliebte Tigerkatze fühlte sich pudelwohl in diesem Zuhause, obwohl sie beim jährlichen Frühjahrsputz zur Nachbarin fliehen musste. Denn Jahr für Jahr erinnerte diese Aktion immer an eine Wohnungsauflösung. Da lagen alle Teppiche im Garten, die Schränke waren nicht mehr an ihrem gewohnten Platz und für einen Tag stand alles auf dem Kopf. Doch schon am nächsten Morgen, wie von Zauberhand, erinnerte nichts mehr an das Durcheinander und die Welt war wieder in Ordnung.
Mitten drin in diesem Paradies, im Garten um genauer zu sein, hatte ich meine Schaukel. Sie war an der Teppichstange befestigt und wenn ich darauf in den Himmel schwebte, konnte es nichts Beglückenderes geben. Als Kind war es die absolute Geborgenheit, die ich erfahren durfte. Heute rückblickend erkenne ich vor allem eine ungeheure Selbstständigkeit und Eigenmacht, welche von dieser Frau ausging. Natürlich ahnte ich damals nichts von der Einsamkeit und den Geldsorgen, ausgelöst durch den Tod ihres Mannes.
Genausowenig konnte ich die abgrundtiefe Verzweiflung erkennen, die der Verlust ihres Sohnes bedeutete. Noch weniger wußte ich um die gesellschaftliche Geringschätzung einer Nur-Hausfrau und Witwe, deren Arbeit als selbstverständlich galt und damit so gut wie unsichtbar war...
Im Vordergrund meines Rückblickes auf das Leben dieser Frau steht ihr
eigenständiges Handeln aus einer Fülle heraus, wie ich es in meiner Kindheit vergleichsweise selten bei anderen Frauen erlebt habe.
Dafür bin ich ihr heute, unter anderem mit diesen Zeilen, dankbar. Es geht mir dabei nicht um aufgewärmte Sentimentalitäten oder Schönrederei früherer Zeiten. Aber Frauen in Opferrollen gab es in meiner Kindheit genügend um mich herum und so verkörperte für mich Frau Lipp eine starke, autarke Persönlichkeit, weit davon entfernt mißachtet oder gedemütigt zu werden. Daß ich sie nie vergessen habe, zeigt mir wie wichtig ihr Anteil für mein Bild von „Frau“ ist. Weiteren Vorbildern eigenmächtiger Frauen (ausser dem meiner Mutter und Großmutter natürlich) bin ich in meiner Mädchenzeit leider nicht begegnet... oder doch?
Vielleicht sollte ich mich irgendwann aufmachen, auf eine innere Reise, und nachschauen, ob es noch mehrere von diesen wunderbaren Menschenfrauen gab, die mich ein Stück auf meinem Lebensweg begleitet haben... nur heute abend nicht mehr, da bin ich zu müde und mir selber mal Vorbild genug.
Susan-Barbara