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Dorothee Sachinian

Grabungsbericht



Ohh, neee!! Schon wieder klingelt der Wecker und reißt mich aus dem Tiefschlaf: es ist 5.30h und um 6h muss ich meine Bahn bekommen, sonst bin ich um 7h nicht auf der Grabung.

Es empfiehlt sich momentan, immer früher als die Bauarbeiter auf der Baustelle zu sein, da...

Aber eins nach dem anderen:

Ich koche mir heißen Tee - eine ganze Thermoskanne voll, weil`s draußen noch kalt ist. Es ist März und draußen friert es noch. Ein Riesenpaket Stullen eingepackt und noch etwas Obst und es kann losgehen.

Meine Hose stimmt mich etwas nachdenklich: Sie könnte eine Wäsche vertragen, denn sonst steht sie bald selbstständig in der Ecke.

Zwei Pullover übergezogen, dicke Schuhe an, Schal und Handschuhe nicht vergessen. Und los!

Die Bahn erwische ich so gerade noch, denn da sitzt meine Kommilitonin drin, die ebenfalls irgendwo in Köln gräbt. "Hier, nimm mal! Fragst Du mich die Vokabeln von Lektion 1 ab?"
Mensch, ich kann kaum die Augen aufhalten und jetzt soll ich Türkisch lesen. Mache ich ja auch täglich!
"Warum willst Du Türkisch lernen?"
"Ich will in den Semeterferien in die Türkei, Grabungen ansehen. Ich habe keine Lust, immer nur mit Händen und Füßen reden zu müssen."
Ich erinnere mich an zwei Kommilitonen, welche auch diese Sprache lernen wollten und dazu öfters im institutseigenen Teekeller saßen und sich die Vokabeln um die Ohren schlugen. An einen Satz erinnere ich mich noch sehr gut: die Frau ist schön. Sprechen kann ich es, aber schreiben nicht. Doch das ganz besondere Pathos, was man bei einem solcher Sätze erwartet, war meinen Bekannten dabei irgendwie nicht anzumerken.

Irgendwann gaben wir es beide auf: Ich war noch zu müde und sie konnte sich nicht konzentrieren. – Auch das nenne ich Müdigkeit.

Vom Hauptbahnhof geht es quer durch die Fußgängerzone zur Grabung.
Die Parfümerie an der Ecke bietet seit heute einen archäologischen Leckerbissen:
Der Diskobol des Myron steht da – ist er etwa seitenverkehrt? – aus Plastik. Das Original stammt aus dem 5. Jh.v.Chr. und ist wirklich ein hübsches Kerlchen mit gut ausgebauten Sixpacks – nur weiß ich noch nicht, ob mich das so richtig anmacht in knatschrot und glänzend!

Mein Prof. hat mal was publiziert über die Antike und die Werbung. Diese hier, von einer Parfümfirma, war sicher noch nicht dabei.

Na, jedenfalls bin ich jetzt wach.

Unser Grabungsleiter Klaus ist schon da und schimpft wie ein Rohrspatz. Aufgebracht rennt er vor dem Bauzaun hin und her:
Nachts war wieder von Dieben gegraben worden und die müssen fündig geworden sein, - so jedenfalls deutet er die Ecke, in welcher wie von Gartenarbeitern alles umgegraben worden war.
Dabei hatte er sich die halbe Nacht dort um die Ohren geschlagen und als er vor Müdigkeit dann umgekippt wäre, ist er doch lieber nach Hause gegangen. Die Anderen sind dann aus ihrem Versteck gekommen und haben in Ruhe ganze Arbeit geleistet.
Heute Morgen ist er dadurch nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen und erreicht den Bau ungefähr 5 Minuten zu spät. Die Bauarbeiter sind gerade in die Baustelle eingefahren und haben unser Grabungsquadrat wieder um etliche Bodenplatten und Mauerreste verkleinert, indem sie einfach mit schwerem Gefährt daran entlangschrappen und hinterher behaupten, sie hätten es nicht gesehen oder die Einfahrt sei zu klein gewesen und sie hätten anders nicht wenden können.

Den Bauherrn freut´s und von dem werden sie schon ihre Prämie bekommen haben...
Wenn wir nämlich nichts mehr zu buddeln haben, kann weiter gebaut werden.

Ich verschwinde im Bauwagen, um meinen Krempel abzustellen und die Schuhe zu wechseln.
Das Bulleröfchen im Wagen ist noch nicht angestellt; Reif hat sich auf dem Tisch gebildet und meine Stiefel sind festgefroren. Da ein Fön nicht zur Hand ist, trete ich kräftig gegen sie.

Wir legen los, denn fast alle sind da. Nur Jürgen fehlt.

"Hat der gestern wieder einen über den Durst getrunken, oder wo bleibt der ab?", schreit der geladene Klaus. Später, als Jürgen eintrudelt, informiert er uns, dass er von der Polizei festgenommen wurde, weil einen Tag zuvor das Fahndungsbild eines Bankräubers in der Bildzeitung war. Irgendwie muss er mit dem Bild Ähnlichkeiten gehabt haben, doch er konnte nachweisen, dass er`s nicht gewesen ist...

Inzwischen sitze ich auf einer Cola-Kiste mit Blick auf den äußersten Winkel der Baustelle, Milimeterpapier auf den Knien. Ein Kommilitone aus Köln misst die Mauer aus, ich zeichne – Stein für Stein.

"Stehst Du mal bitte auf?"
"Wieso?", frage ich. "Meine Hände sind noch nicht klamm. Ein bisschen können wir noch..."
Jetzt verlegt er sich auf`s Betteln: "Mach schon. Guck mal hier: wie soll ich das vermessen?"
Also gut! Hintern hoch, die steifen Beine etwas gestreckt und nachsehen, was ihm da solche Schwierigkeiten bereitet!
"...Was ist daran nur so ungewöhnlich?"

Martin deutet hinter mich. Ich sehe noch, wie die Cola-Kiste, auf der ich gerade noch gesessen habe, mit samt einem großen Stück Sandboden in der Versenkung verschwindet. Die ganze Zeit hat ein Bagger unter mir den Sandboden ausgehöhlt und Martin hatte in aller Seelenruhe zugesehen, gemessen und mir nichts gesagt.

Er findet es witzig, mir sitzt der Schreck jetzt in den Knien...

In der Mittagspause sitzen alle um den langen Tisch, der im Bauwagen steht. Im Hintergrund läuft Simply Red. Das Öfchen ist bei der Arbeit, der Raum stickig. Klaus, der Grabungsleiter verlangt erst mal Lüftung, als er zu uns stößt: "Das haut einen ja aus den Stiefeln!" Seine Laune ist schon wieder etwas besser und so gibt er bei einem Fläschchen Bier eine Geschichte aus der Grabungszeit von St. Columba zum Besten. Wir sitzen ja gerade ein Grundstück weiter.

"Mein damaliger Grabungsleiter hatte die Aufgabe, die Vorgängerbauten der Kirche unter und leicht versetzt daneben freizulegen. Es ist nämlich einzigartig, wie gut die Entwicklung im Kirchenbau gerade hier nachzuvollziehen ist: vom einfachen rechtwinkligen Raum bis zum genau nach Osten ausgerichteten Bau mit Apsis und Seitenschiffen..." , "Ja und, Klaus? Mach`s nicht so spannend. Das wussten wir auch schon!" "Ja, also: Der hat in einer der Apsiden einen Priester gefunden! Der war da beerdigt worden. Jetzt legten die den frei und er lag da in vollem Ornat. Hatte ganz lange Fingernägel und ganz lange rote Haare. War kaum verwest!"

Manchen von uns treibt es jetzt doch ein bisschen in die Gänsehaut. Dass man als Archäologe mal Skelette ausgräbt, das ist uns klar. Dass da aber auch noch "etwas mehr" dran sein könnte – ja, dass die Leiche geradezu frisch sein könnte, daran hatten wir ja noch nie gedacht!

"Und? Weiter!"

"Jaja!. Der Grabungsleiter stand jetzt ganz nachdenklich vor diesem Verstorbenen. Der war noch nicht geborgen worden und das Problem war nun: Wie bekommen wir ihn da weg, ohne das Gewand und so weiter zu zerstören. Er lutschte ständig an seinem Bleistift, machte Notizen und dachte nach..."

"Klaaauus!!!"

"Ja, pass auf, jetzt kommt´s: der nahm den Bleistift mal wieder hinter dem Ohr weg und hob unten an den Füßen das Gewand an. Wahrscheinlich wollte er mal sehen, was ein Priester so unter dem Gewand an hat."

Wir schmunzeln bei der Vorstellung, wie das alles abgelaufen ist.

"Aber irgendwie hat er da aber nichts sehen können und später stand er dann wieder, genau wie vorher: Bleistift nuckelnd..."

Wir gröhlen!!! Wir lachen Tränen und warten auf das Ende der Geschichte. Klaus ist mit seinen Schilderungen einfach zu komisch!

"Also, ich habe nur noch gesehen, wie er plötzlich seinen Bleistift anstarrte, ihn fallen ließ und von der Grabung wegrannte. An dem Tag isser auch nicht mehr wieder gekommen. Ich hab mir erzählen lassen, dass er Abends vollkommen blau inner Kneipe gefunden worden ist. Wer weiß, was so eine Leiche für Bakterien und so an sich hat. Der dachte wohl, Alkohol desinfiziert. Am nächsten Morgen kam er auch sehr spät zur Grabung - dem ging es nicht so gut!"

Das war eine schöne Anekdote. Wir rappeln uns langsam wieder auf, denn die Pause ist zu Ende. Wir gehen raus und werden gleich wieder in unserem Grabungseifer gebremst: "Wir haben für heute Nachmittag die Schlüssel einiger Grabungen bekommen. Die Studenten sehen sich jetzt die Mikve, Groß St. Martin und die Domgrabung an! Ihr kommt erst morgen früh wieder hierher."

Juhuuuu! Das ist doch was. Wir ziehen uns um und verlassen die Grabung.

Zuerst gehen wir zur Mikve. Die ist schnell "abgehakt", da es sich dabei eigentlich nur um einen, allerdings sehr tiefen, Treppenaufgang handelt, zu dessen Basis sich ein Becken mit eiskaltem Wasser befindet, für rituelle Waschungen. Ein Geländer gibt es nicht und es ist eng. Alles in allem nichts für Leute mit Höhenangst.

Groß St. Martin nimmt etwas mehr Zeit in Anspruch und wir müssen etwas kürzen, damit wir von der Domgrabung noch etwas mitbekommen, die am Längsten dauern wird.

Im Dom verschwinden wir hinter einem Geländer im Boden. Die Falltür muss über uns verschlossen werden, damit niemand, der unbefugt ist, hinterher kommt.

Bei der sehr interessanten Besichtigung können wir teilweise nicht aufrecht gehen, die Jungs spielen an den Lichtschaltern und es ist noch kälter als draußen auf der Grabung.

Es ist bestimmt nichts für klaustrophobisch angehauchte Seelchen, wenn man sich jetzt noch vorstellt, wie klein man ist und dass der ganze Dom auf, bzw., über einem steht!

Als wir bei der Klerikergräbern aus der Erde wieder heraufsteigen, bin ich irgendwie erleichtert. Mein Rücken tut weh und ich bin froh, die Bahn noch zu erwischen, damit ich pünktlich zum Zirkeltraining an die Uni komme.

Als mich mein Herzallerliebster abends fragt, wie der Tag gewesen sei, zucke ich nur mit den Schultern.

"Och, ganz normal.", sage ich, blicke auf den Wecker und stelle fest, dass dieser in acht Stunden schon wieder klingelt und mich in die Kälte auf die Grabung treibt...