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Petra Plaum

Ohne Ultraschall und Pampers
Erschienen in „Junge Familie“

Vor 70 Jahren wurden Neugeborene zur Not schon mal mit Himbeersaft belebt


Hildegard Fackler, 66, half schon als Vierjährige einige ihrer zwölf Geschwister großzuziehen, arbeitete später als Erzieherin und bekam dann selbst drei Kinder (heute 36 bis 42). Vor 34 Jahren gründete die engagierte Schweinfurterin den Mertinger Kindergarten. Die vierfache Oma besucht und unterstützt noch heute ehrenamtlich junge Mütter. Junge Familie-Autorin Petra Plaum sprach mit Hildegard Fackler über das Mutterwerden und Muttersein in alten Zeiten.

- Frau Fackler, die Oma Ihres Mannes war Hebamme…

Hildegard Fackler: Ja. Und was für eine: Sie brachte das halbe Dorf zur Welt. Als sie ihren Enkel, meinen Mann, holte, hatte der die Nabelschnur um den Hals und war ganz blau. Um ihn zu beleben, schüttete sie ihm dann die nächst beste Flüssigkeit über den Kopf, die zur Hand war – Himbeersaft.

- Ging man früher mit Wöchnerinnen anders um als heute?

Fackler: Ja, meine Schwieger-Oma musste die jungen Mütter noch vorsichtig im
Bett herumwälzen, denn sie durften nicht aufstehen. Es hieß, zehn Tage
strenge Bettruhe, damit die Gebärmutter an ihrem Platz bleibt. Jemand musste
die Mütter bekochen, Dinge im Haus erledigen. Wöchnerinnen durften nicht
einmal zur Toilette gehen. Für ihre Notdurft bekamen sie eine kleine
Schüssel untergeschoben. Mit der Hygiene war es auch nicht so wie heute, das
Wasser wurde noch aus dem Brunnen geholt, und man hat sich nicht immer die
Hände gewaschen. Da wurden die bettlägerigen Frauen leicht mal krank.

- Es gab keine Wegwerfwindeln, keine Waschmaschine, keinen Trockner. Für uns
heute unvorstellbar.

Fackler: Wenn ich an meine Mutter denke, die hatte 13 Kinder. Wenn da die
große Wäsche anstand, hat sie tagelang alles in einem großen Pott gekocht.
Moltonwindeln gab es noch nicht, zum Wickeln nahm man damals ein Stück von
einem weich gewaschenen Kopfkissenbezug oder einem Leintuch. Der Stoff hat
aber leider kaum Flüssigkeit aufgenommen. Ich hatte einen Bruder, der war
vier Jahre jünger als ich, dem musste ich schon sein Fläschen warm machen
und ihn trocken legen. Wenn der mal Durchfall hatte, floss der Brei überall
hin, und ich wusste als Kind nicht, wo ich hinlangen sollte.

- Dass man schwanger geworden war, konnte man früher ohne Ultraschall ja nur
vermuten…

Fackler: Stimmt. Ich hatte meine Tage sehr unregelmäßig. Nach meiner
Hochzeit im Juli ‘61 zog ich nach Wetzlar, wo mein Mann stationiert war. Als
mir kurz danach immer schlecht wurde, habe ich alles auf das Herbstwetter
zurückgeführt und gedacht, dass ich eine Erkältung ausbrüte. Der Arzt ließ
mich dann meine Symptome schildern und fragte anschließend: Kennen Sie den
Herrn? Ich fragte: Wie bitte? Ja, meinte er, nach dem, was Sie mir erzählen,
würde ich sagen, Sie sind schwanger! Wenn damals eine Frau schließlich
hochschwanger war, ging sie sonntags in der Kirche nicht mehr vor zur
Kommunion. Andere sollten den Bauch nicht sehen. Wir waren da noch etwas
komisch.

- Und die Geburt? Wie erlebten Sie die?

Fackler: Ich brachte meinen ersten Sohn zuhause zur Welt. Man lag einfach
nur da und wartete. Die Geburt dauerte eineinhalb Tage, da hat man gesagt:
„Schaun’ mer mal, das wird schon von alleine kommen.“ Mein Sohn wog dann
neun Pfund. Ich bekam einen Dammriss, und um den zu nähen, kam eineinhalb
Stunden nach der Entbindung der Arzt. Die Narkose ging so: Der Arzt nahm ein
Teesieb, legte ein Tuch hinein, mein Mann träufelte Tropfen hinein. Das
hängten sie mir dann übers Gesicht, und ich musste zählen, bis ich das
Bewusstsein verlor. Wenn ich das heute Anästhesisten erzähle, können die das
kaum glauben.

- Wie war das bei Ihnen mit dem Stillen?

Fackler: Früher glaubte man noch, solange man stillt, kann man nicht wieder
schwanger werden. Und auch: wer stillt, bei dem regelt sich das mit der
Figur von allein wieder. Da wunderte sich dann manche Frau, wieso sie so
schnell wieder schwanger wurde. Wo ich im Krankenhaus entbunden habe, waren
die Hebammen nicht daran interessiert, dass wir stillten. Wir waren zu Zehnt
in einem Zimmer und mussten uns gegenseitig helfen. Mir sagte auch leider
niemand, dass eine Stillende viel trinken muss und häufig anlegen soll. Das
Schlimme war ja, es hieß, alle vier Stunden darf’s nur sein, weil die
Verdauung des Kindes es öfter nicht verträgt. Nach dreieinhalb Stunden habe
ich dann auf die Uhr gesehen und mit schlechtem Gewissen gedacht: Ich halt’s
nimmer aus. Mir zerreißt es den Busen und das Kind weint und schreit. So
ging bei mir der Milchfluss beim ersten Kind schon nach sechs Wochen zurück.
Das war ein Problem, denn die Heilnahrung war teuer, und mein Sohn bekam
Durchfall davon.

- Und wie lief Ihr Alltag als frischgebackene Mutter damals ansonsten?

Fackler: Ich war mit dem ersten Kind vollauf beschäftigt, und Gäste kamen
nicht, denn ich kannte ja damals in Wetzlar noch niemanden. Telefon hatten
wir auch noch nicht. Ich war schon froh, wenn unter mir im Haus mal jemand
aufs Kind aufgepasst hat, damit ich kurz alleine einkaufen konnte. Wieder
arbeiten zu gehen, hatte ich überhaupt nicht vor, weil ich wusste, dass ich
mehrere Kinder haben will. Da entschied ich mich dafür, das Haushaltsgeld
eben so zu strecken, dass wir damit klar kommen. Wir hatten 350 Mark, die
Miete betrug 150 Mark. Da war Schmalhans Küchenmeister. Was auch aufreibend
war, waren die Kinderkrankheiten. Den Arzt hat man nur geholt, wenn man sich
gar nicht mehr zu helfen wusste und es ansonsten mit Wadenwickeln und
anderen Hausmitteln versucht.

- Heute werden Mütter mit einem Riesenangebot an Baby-Kursen und Literatur
zum Thema „Mutterwerden“ geradezu überfordert. War das früher auch so?

Fackler: Nein, da gab es kaum was. Wir hatten auch keine Nachsorge durch die
Hebamme, Rückbildungskurse oder ähnliches. Man hat sich gegenseitig gesagt,
wie man was macht. Ich selbst wusste auch durch die Erzieherinnenausbildung
einiges. Was ich mir auch noch gönnte, bevor meine Kinder kamen: ich
arbeitete in München bei einer Familie mit drei kleinen Kindern, die
Zwillinge waren gerade zwei Monate alt. Dort sammelte ich praktische
Erfahrung in Säuglingspflege, denn das mit meinen eigenen Geschwisterchen
war ja auch schon mehr als zehn Jahre her.

- Was raten Sie den jungen Müttern von heute?

Fackler: Frauen sollten sich untereinander nicht so viel Konkurrenz machen.
Sie machen es sich viel leichter, wenn Sie Ihre Kinder nicht mit denen der
Nachbarin vergleichen. Denn kein Kind ist wie das andere. Jedes Baby hat
seinen eigenen Rhythmus in der Entwicklung. Das eine läuft früher, das
anders spricht schneller. Was ich noch wichtig finde: Genießen Sie den
körperlichen Kontakt, nehmen Sie die Kinder auf den Schoß, so lange sie
klein sind! Die Welt ist kalt und hart genug.