Margot Tarisch Das Bild "Wir fahren Ostern nach Jugoslawien, genauer gesagt nach Herzegowina", das erzählte mir mein Freund Karlheinz als erstes, als er nach Hause kam von seinem Treffen mit seinem Freund Stivo. Ich fragte etwas erstaunt, warum dorthin, ist der Krieg dort auch schon wirklich zu Ende, bitte was wollen wir da! Nun bekam ich eine ausführliche Erklärung. Karlheinz hatte seinem Freund Stivo, der aus Jugoslawien stammte und mit seiner Familie in München lebt, versprochen, wir würden mit zu seiner Familie nach Herzegowina fahren. Es sei eine Familientradition, dass alle an Ostern nach Hause kommen würden, wenn es irgendwie möglich ist. Karlheinz ist der Taufpate von Stivo’s Sohn. Wegen des Krieges war Stivo auch schon lange nicht mehr zu Hause gewesen, alle Geschwister kämen und Karlheinz wollte sie gerne wieder sehen. Außerdem gäbe es noch einen sehr wichtigen Punkt, die Familie und Freunde hatten so viele Bestellungen abgegeben und diese ganzen Waren mussten transportiert werden. Also müssen wir unser Auto ganz voll packen, sie brauchen viel, der Krieg hatte sehr vieles zerstört. Ich sagte sofort ja, natürlich machen wir das. Wir fuhren total überladen los, jeder Zentimeter in unserem Auto wurde genützt. Am Donnerstag kamen wir noch bis Triest, übernachteten dort und am nächsten Tag ging es weiter. Wir fuhren durch Slowenien, weiter durch Istrien, wo die Auswirkungen des Krieges noch nicht so sichtbar waren. Am Meer entlang fuhren wir durch Kroatien und je weiter wir südlicher kamen, desto mehr konnten wir die Schäden des Krieges sehen. Die Straßen waren total kaputt und wir kamen nur sehr langsam voran. Wir waren einen ganzen Tag unterwegs, bis wir am Abend endlich Split erreichten, dort übernachteten wir in einem kleinen Hotel. Die Fahrt wurde immer schwieriger, die Straßen bestanden aus lauter Bombenlöchern und die Brücken waren Behelfsbrücken und mir war es immer ganz unheimlich zu Mute, wenn wir da drüber mussten. Sahen wir eine Tankstelle, so tankten wir sofort, sicher ist sicher. Langsam arbeiten wir uns vorwärts und fuhren über die Grenze nach Herzegowina in die Berge. Ich war immer recht froh, wenn wir auf Truppen der UN stießen und sie vor uns herfuhren, denn sonst waren kam Autos unterwegs. Es war ein schöner Tag, die Sonne schien und manchmal sah es richtig gespenstisch aus, wenn die total zerschossenen, durchlöcherten Straßenschilder von der Sonne angestrahlt wurden. Später gab es keine Ortsschilder mehr, man erzählte uns, "um dem Feind die Orientierung zu erschweren", wir konnten uns nur noch durchfragen. Wir hatten unser Ziel erreicht und waren in dieser kleinen Stadt mitten in den Bergen von Herzegowina angekommen. Es gab nur ein Hotel, welches mit einiger Phantasie wirklich wild romantisch war, selbst in den Gängen waren überall Einschusslöcher, teils waren die Türen durchschossen und als ich das Zimmer sah, dachte ich ein Schlafsack wäre ein Geschenk des Himmels, aber was soll es. Wir wollten der Familie von Stivo nicht zur Last fallen, denn sie hatten genug Leute zu beherbergen. Wir wurden bei unserer Ankunft sehr, sehr herzlich empfangen und begrüßt. In diesem kleinen Haus und in dieser noch kleineren Küche war die ganze Familie versammelt, man saß auf dem Sofa, auf Schemeln, Kisten, einige standen. Alle hatten ein Weinglas in der Hand und es wurde auch noch Kuchen und anderes Essen angeboten. Alle plauderten in ihrer Sprache durcheinander. Ich konnte nichts verstehen und saß brav da, schaute zu und konnte es nicht fassen, dass so viele Menschen in diesen kleinen Raum passten. Außer Stivo sprach noch seine Schwester Dunja, welche in Deutschland als Ärztin gearbeitet hat und auch sein Bruder Ibo, der Künstler, er hatte in Wien und Berlin an der Kunstakademie als Gastdozent unterrichtet, Deutsch. So ging es mehrere Stunden weiter. Wein trinkend und essend wurde geredet und erzählt und erzählt. Dunja und Ibo setzten sich zu mir und wir sprachen deutsch und ich hörte viel Interessantes über Land und Leute. Dann ging ein langer Tag zu Ende, Karlheinz und ich verabschiedeten uns. Der nächste Tag verlief für mich so, ich begleitete Karlheinz zu vielen Bekannten, wieder essen und trinken, lächeln, da ich die Sprache nicht verstand. Mein Freund sprach zwar nicht perfekt, aber konnte sich in der Landessprache recht gut verständigen. Der alte Vater der Familie war weit über achtzig Jahre alt, doch er war topfit, nahm mich an der Hand und wollte, dass ich mit ihm spazieren gehen sollte. Ich ging mit ihm. Er führte mich zum Friedhof und zeigte mir die Gräber und ich verstand, was er mir sagen wollte. Ich las die Namen und rechnete mir das Alter der jungen Männer aus. Wir gingen weiter durch den Ort er zeigte auf die zerstörten Häuser, welche teils die Fenster und Wände mit Decken zugehängt hatten, denn es war an Ostern noch ziemlich kalt in den Bergen. Er führte mich weiter ein Stück den Berg hinauf und zeigte auf die Wiese, in der die ersten Schlüsselblumen und Anemonen und diverse andere Blumen, die gerade zu blühen begannen. Wir gingen schweigend nebeneinander her und ich war sogar ein bisschen gerührt. Wir wussten beide, was er mir sagen wollte und er nahm meine Hand und wir gingen zurück. Dunja fragte mich "Vater hat dir sicher alles gezeigt und ist auch mit dir den Berg hochgegangen?". Sie erzählte mir weiter, er liebt seinen Berg und er erzählte uns, als wir Kinder waren, dieser Berg zeigte ihm immer, dass das Leben sich immer wieder erneuert. Die Natur kann kein Mensch besiegen. Es ist sein heiliger Platz, wo er sich seine Kraft holt. Nun erklärte sie mir weiter, morgen fahren wir zu Freunden ans Meer nach Dubrovnik. Dort haben wir viele Freunde, die auch Karlheinz kennt, und außerdem wirst du auch noch viel sehen. Ibo hat dort lange gearbeitet und alle waren wir schon lange nicht mehr dort. Also fuhren wir sehr früh mit zwei Autos, natürlich voll gepackt, los. Wir mussten über die Grenze, denn sie hatten überall willkürliche Grenzen errichtet, unser Auto mit deutschem Kennzeichen wollten sie nicht weiter fahren lassen. Aber Dunja und Ibo erklärten den Grenzbeamten sehr lautstark, die Deutschen sind gekommen, um uns zu helfen und schlagartig wurden wir ganz freundlich behandelt und durften die Grenze passieren. Wir fuhren durch die Berge und kamen zum Meer runter. Es wurde immer wärmer und viele Blumen und Bäume standen schon in voller Blüte und ich konnte mich gar nicht satt sehen an diesen herrlichen Farben der Blüten, nach den kahlen Bergen. Es war schon richtig Frühling und angenehm warm. Wieder wurden wir sehr herzlich begrüßt und bewirtet, es wurde gegessen, Wein getrunken und viel geredet und ich schaute wieder zu. Dunja und Ibo sah ich heftig diskutieren, es sah jedenfalls so aus. Ibo kam zu mir und fragte mich, willst du mitkommen, ich möchte dir was zeigen, meinen Kunstpark. Ich fragte Karlheinz, ob er auch mitgehen möchte, aber er wollte lieber mit seinen Freunden plaudern. Noch zwei Männer, Dunja, Ibo und ich gingen zum Auto und fuhren los. Eine sehr kurvenreiche Straße führte den Berg hoch. Eine Serpentine nach der andern und die Straße bestand eigentlich nur aus großen Löchern, das arme Auto. Schließlich kamen wir doch an, aber das letzte Stück mussten wir noch zu Fuß gehen. Es hing ein Tor windschief in den Angeln und ließ sich nur einen Spalt öffnen, dass wir auf das Grundstück kamen. Zunächst sah ich nur Wiese, dann entdeckte ich einige Metallteile, Holzteile und dachte hier liegt Schrott. Ibo ging neben mir und sagte" jetzt erzähle ich dir die Geschichte von meinem Kunstpark". Ich schaute ihn erstaunt an, denn seine Stimme hatte sich total verändert. Sie klang weich und sanft und später stellte ich fest, sie war traurig, sogar sehr traurig. Während wir auf dem Schotterweg gingen, begann Ibo zu erzählen. "Dies sollte ein Kunstpark werden, in welchem viele Künstler arbeiten und ausstellen sollten. Steinmetze wollten hier großes vollbringen, Statuen aus Bronze sollten hier in der Wiese stehen und viele Künstler sollten hier eine Chance bekommen, ihre Werke zu zeigen. Ich hatte es auch schon geschafft, dass die Regierung das Projekt mit finanziert, denn es sollte eine Seilbahn auf den Berg gebaut werden, weißt du, für die Touristen. Sie könnten vom Meer bequem hochfahren und auch der Ausblick von hier oben ist doch wunderschön. Auch gab es viele Mäzene, welche uns sponsern wollten, ich hatte auch schon viele Firmen gefunden, die sich beteiligen wollten. Alle versprachen, dass dieses Projekt die Leute anziehen würde und geschäftlich und kulturell interessant werden würde". Ich blieb stehen und schaute ihn an, vor mir stand ein Mann, dessen Lebenswerk oder Lebenstraum einfach wie eine Seifenblase geplatzt war. Er sagte nur, " Komm, gehen wir weiter". Nach einer Kurve konnte ich ein großes Haus sehen. Vor dem Haus in der Wiese lagen einige Bronzefiguren, Steinstücke von Statuen, auch noch ganze Figuren, sie waren wohl zu mächtig zum Zerstören. Während wir auf das Haus zugingen, sprach Ibo ruhig weiter. "Das war mein Atelier, hier habe ich viele junge Maler unterrichtet und auch viele Freunde hatten hier ihre Räume, in denen sie gearbeitet haben". Alle Fenster waren eingeschlagen und es sah schrecklich aus. Ich fragte ihn entsetzt. "Wer hat das getan, diese Zerstörung?" Seine Antwort erstaunte mich, denn ohne Zorn oder Wut antwortete er, nur klang seine Stimme traurig, "Ist doch egal, alles ist kaputt und man kann es nicht wieder herrichten". "Doch!" hörte ich mich sagen, aber ich war sofort wieder still, denn ich wusste, es war Unsinn, was ich gesagt hatte. Er sprach weiter, "das Land hat jetzt andere Probleme und das war ein Millionenprojekt". Vorsichtig, über Glasscherben steigend, gingen wir ins Haus. Wir standen in einem großen Atelier, Farbtuben, Leinwände, Pinsel lagen am Boden, Staffeleien umgeworfen und überall lagen Bilder. Auf einem großen Tisch lagen Skizzen mit Farbe übergossen. Sprachlos standen wir da und schauten auf diese Verwüstung. Ibo hatte meine Hand genommen und hielt sie ganz fest. Dieser große Bär von einem Mann stand hier und hielt sich an meiner Hand fest und ich spürte die große Traurigkeit, diese Hilflosigkeit, die ihn gefangen hielt. Lange standen wir so da und plötzlich hörte ich seine Schwester fragen, ob sie was zusammen sammeln soll? Nun kam Leben in ihn, er sagte noch immer nichts, aber wir gingen, mich fest an der Hand haltend, durch den Raum. Nun begann er zu erzählen, zu erklären und er gab seine Anweisungen für Dunja und seine Freunde. Er bat, sie einige Sachen einzusammeln und zum Auto zu bringen. "Komm", forderte er mich auf und er suchte nach einer Leiter, da die Treppe nicht mehr begehbar war. So turnten wir in den Dachgiebel. Trotz Chaos konnte man noch ein sehr behagliches, gemütliches Zimmer erkennen und Ibo erzählte, "Das war mein Lieblingsplatz zum Ausruhen". Hier hatte er auch seine besten Ideen und hier saß er oft abends bei einem Glas Wein und genoss diesen schönen Ausblick. Er schwärmte mir vor von der Abendsonne, die den Raum in ein besonderes Licht tauchte und ich saß auf dem kaputten Sofa und hörte ihm zu. Hin und wieder stellte ich eine Frage und er redete, setzte sich, stand wieder auf, ging auf und ab und erzählte. Es war schön ihm zu zuhören, er war mir so vertraut, als würden wir uns schon ewig kennen. Leider riefen seine Freunde nach uns und Ibo antwortete, "ja wir kommen" und wir machten uns auf den Rückweg. Bei seinen Freunden angekommen, tranken wir Kaffee. Kaum hatte ich meine Tasse ausgetrunken, sagte Ibo zu mir "komm wir gehen an das Meer, ich möchte dir noch was zeigen" und wir gingen. Wir spazierten am Strand entlang und dann sah ich sie. Im Wasser auf großen Felsen standen Statuen aus Bronze. Das Meer umspülte diese Figuren, einen schönen Fisch, manches waren fantasievolle Gestalten. Plötzlich sagte ich lachend "diese kleine Nixe sieht aus wie die Meerjungfrau, hier habt ihr wohl ein bisschen nach gebaut". Er lacht mit und sagte "kann schon sein". Er wurde wieder ganz ernst und sagte mir "wenigstes sind die Statuen noch da, sie sollten die Leute neugierig machen auf unseren Kunstpark". Die Abendsonne ließ die Statuen im Meer wunderschön und mächtig erscheinen, es beeindruckt mich sehr. Wir gingen zurück. Viele Leute waren dort eingetroffen und es wurde ein Abendessen und Wein gereicht. Ibo saß im Kreis von vielen Menschen trank Wein, redete und diskutierte heftigst und alle redeten immer sehr laut durcheinander. Dunja, Karlheinz und ich besprachen, dass wir bald zurück fahren werden, denn wir hatten noch ein paar Stunden Fahrt vor uns. Weiter erzählte sie mir, "Ibo bleibt hier bei seinen Freunden, er hat sie seit Kriegsbeginn nicht mehr gesehen und viele haben am Projekt Kunstpark mitgearbeitet. Sie werden viel reden und noch mehr Wein trinken. Für sie ist alles kaputt gegangen und sie sind zu alt, um noch mal was so Großes aufzubauen". Plötzlich stand sie auf, holte einen großen Malblock, einen Stift und brachte das Ibo und redete auf ihn ein. Er drehte seinen Stuhl in meine Richtung und sah mich lange an und begann zu zeichnen. Immer wieder sah er hoch, schaute mich an, dann malte er konzentriert weiter. Zum Schluss machte er noch ein paar kräftige Striche unter das Bild, stand auf und brachte mir das Bild, sah mich an und sagte "zur Erinnerung". Alles was ich sagen konnte war nur "Ooh!", auf dem Bild, das war ich, als junges Mädchen. Es war das Bild eines schönen, jungen Mädchens, ja, so habe ich mit 17 Jahren ausgesehen. Ich sah ihm in die Augen und er hielt meinen Blick fest und sagte zu mir "Ja, das bist du, so siehst du aus" und er drehte sich um, ging zu seinem Stuhl zurück und unterhielt sich wieder weiter. Dunja sah mir über die Schulter und erklärte dabei, "so sieht er dich". Ich war gerührt und irgendwie verzaubert, er hatte aus einer reifen Frau ein junges Mädchen gemacht und in diesem Moment fühlte ich mich auch so. Nun wurde es Zeit die Rückfahrt anzutreten. Ich verabschiedete mich von allen, Ibo stand auf und brachte mich zum Auto. Wir lächelten uns an, sahen uns in die Augen, sagten nichts, es gab nichts mehr zu sagen. Plötzlich nahm er mich in den Arm und drückte mich einen kurzen Augenblick ganz fest an sich, ließ mich los und ging zurück. Ich hörte mich "Auf Wiedersehen" sagen, während ich ins Auto einstieg. Am nächsten Tag fuhren wir nach Deutschland zurück. Ich hatte etwas Kostbares auf dem Rücksitz liegen, das Bild und ich wusste, dass dieses Bild für mich immer wertvoll sein würde. Es hängt bei mir zu Hause an der Wand. |
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