Home
Frauen Kinder Kueche Mail Impressum
Maenner Kultur Medi-Eck Anzeigen Links


Norgard Kohlhagens Kurzbiographie über Sylvia Plath

"Ich schreib allein
weil eine Stimme in mir ist,
die will nicht schweigen"

Aus dem Buch "Sie schreiben wie ein Mann, Madame!" von Norgard Kohlhagen.
(erschienen im Allitera Verlag 2001)


And I see myself, flat, ridiculous, a cut-paper shadow
Between the eye of the sun and the eyes of the tulips,
And I have no face, I have wanted to efface myself.

Und ich sehe mich, flach, zum Lachen, ein papierener
Scherenschnittschatten. Zwischen dem Auge der Sonne und den Augen der
Tulpen, Und ich hab kein Gesicht, ich wollte gesichtslos werden.

(Aus: Tulpen. Deutsch von Erich Fried)


Sie lächelt, nein: lacht auf fast allen ihren Fotos. Als blondlockiges
kleines Mädchen strahlt Sylvia Plath auf dem Schoß ihrer Mutter. Als
Achtjährige steht sie neben ihrem jüngeren Bruder am Strand mit
lachendem Gesicht. Der Teenager Sylvia, adrett frisiert, sitzt im
Garten des elterlichen Hauses in Wellesley, Massachusetts, und kann
sich, so scheint es, nicht fassen vor Lebensfreude.
Die Jung-Reporterin Sylvia hat ein aufmerksames Lächeln im Gesicht,
während sie ihren lnterviewpartnern lauscht. Die Studentin Sylvia,
tiefgebräunt mit hellblond gefärbtem Haar, beherrscht das »keep
smiling« perfekt. Überglücklich schmiegt sie sich, ein paar Jahre
später, als junge Ehefrau in den Arm ihres Mannes. Die
Achtundzwanzigjährige, gerade Mutter geworden, strahlt sie ihr Baby an,
das ihr Mann im Arm hält. Einmal allerdings kann sie das Lächeln auf
ihrem Gesicht nicht festhalten. Ein Foto aus dem Jahr 1962 - sie ist
noch nicht dreißig - zeigt sie mit ihren zwei kleinen Kindern auf dem
Schoß, und sie blickt in die Kamera, als suche sie Zärtlichkeit und
Wärme. »März 1962« ist dieses Bild datiert. Im Februar 1963 beging die
Dichterin Sylvia Plath Selbstmord.

Nach ihrem Tod ist sie bei uns durch drei Bücher bekannt geworden:
durch ihren Gedichtband »Ariel«, den Roman »Die Glasglocke« und
ihre »Briefe nach Hause 195~1963«. 1982 sind in den Vereinigten Staaten
ihre »Tagebücher« erschienen - herausgegeben von ihrem Ehemann, dem
englischen Lyriker Ted Hughes.

»Masken sind heutzutage an der Tagesordnung, und das mindeste, was ich
tun kann, ist die Illusion zu pflegen, daß ich fröhlich, ausgeglichen
und nicht ängstlich bin«, notierte die Achtzehnjährige in ihr Tagebuch.

Wann begann Sylvia Plath sich hinter einer Maske zu verstecken? Und WAS
verbarg sie hinter dieser Maske? Vieles, was über ihr Leben Aufschluß
geben könnte, wird die Nachwelt niemals wissen. Tagebücher von ihr
wurden vernichtet. Das Manuskript eines Romans ist »verschwunden«.
Briefe, die sie an ihre Mutter schrieb, sind gekürzt und »bereinigt«
veröffentlicht worden. Ihre Mutter und der Ehemann, der den Nachlaß
verwaltet, sind dafür verantwortlich.

Trotzdem soll hier mit aller Vorsicht versucht werden, der Lyrikerin
Sylvia Plath näherzukommen und sie beim eigenen Wort zu nehmen. Ihre
Eltern sind deutsch-österreichischer Abstammung. Der Vater, ein
gebürtiger Ostpreuße, stirbt, als Sylvia acht Jahre alt ist. »Ich haßte
meine Mutter, als sie mir das sagte«, schreibt Sylvia in ihrem
Tagebuch. Sie beschäftigt sich noch Jahre später damit, daß sie nie in
ihrem Leben einen Mann, der »Vater« für sie war, lieben konnte. Die
Mutter will Sylvia und ihrem kleinen Bruder Warren unnötige Aufregungen
ersparen. Die Kinder nehmen nicht an der Beerdigung teil. Sylvia muß
stark darunter gelitten haben. Im Sommer 1953, als die knapp
Zwanzigjährige einen Selbstmordversuch unternimmt, sucht sie vorher das
Grab ihres Vaters auf und: »Ich heulte meinen Verlust in den kalten
salzigen Regen.« Die Mutter hatte damals nicht geweint. Sie hatte den
Kindern erklärt, daß der Tod für den Vater »gnädig« sei. Sylvia
schluckte das. Sylvia bettelte gleichzeitig: »Mami, heirate nie wieder -
versprich mir das!« Die Mutter hielt sich daran. »Sie opferte ihr
Leben für mich. Ein Opfer, das ich nicht wollte«, schreibt
Sylvia Plath, 27 Jahre alt, in ihr Tagebuch. Aurelia Plath, die Mutter,
ist ungemein tüchtig und patent. Sich selbst versagt sie alles - ihren
beiden Kindern ermöglicht die Witwe alles. Es sind gute Kinder. Mutter
Plath beginnt, an einer High-School zu unterrichten. »Grammy«, die
Großmutter, betreut die Kinder, und die haben es gut. Sie bekommen
Musikunterricht und lernen segeln und werden Pfadfinder und verbringen
die Ferien in Sommerlagern, während ie Mutter sich nichts
gönnt. Müssen Sylvia und Warren nicht eines Tages dafür dankbar sein?

Sivvy - so wird sie daheim genannt - hat schon früh angefangen zu
schreiben. Sie verfaßt Beiträge für populäre Zeitschriften
wie »Seventeen« und wagt sich an Gedichte. Eines endet so:

Ich schreib allein
Weil eine Stimme in mir ist,
Die will nicht schweigen.

Lernen, sich anzupassen - damit ist Sylvia Plath ihre ganze Jugend
hindurch beschäftigt. Um ihrer ach-so-selbstlosen Mutter zu gefallen,
spielt sie das unkomplizierte, sonnige Kind und junge
Mädchen, das alles fest im Griff hat, wirklich alles: »Ich habe meinen
Sex vernünftig unter Kontrolle«, versichert die Neunzehnjährige ihrer
Mutter. Auch auf geistigem Gebiet wird sie zum Sich-Anpassen erzogen.
Eine Zeitschriften-Redakteurin hat ihr geraten, sich thematisch und
stilistisch dem jeweiligen Blatt, in dem sie veröffentlicht werden
wolle, anzugleichen. Es gelingt ihr schnell, den jeweiligen Trend zu
erkennen. Sie ahmt ihn nach - und hat Erfolg. So wird sie schon
früh abhängig von Komplimenten und Kritiken. Die Stimme in ihr, »die
nicht schweigen will«, sagt fortan nur noch das, was gefällt. Damit hat
sie Erfolg. Sie findet Gönner und Förderer auf allen
Gebieten. Sie gewinnt Stipendien und Wettbewerbe. Während ihrer College-
Zeit schreibt sie fast täglich einen Brief an die Mutter. Ständig
beteuert sie ihr, wie glücklich sie diese Ausbildung macht,
wie kameradschaftlich alle Mädchen hier sind, wie anständig sich
ihre »dates« benehmen (»nur mal ein Kuß auf die Nasenspitze, Mami!«).
Wer in ihren »Briefen nach Hause« blättert, wird
geradezu eingedeckt mit heiteren, munteren kleinen Alltagserlebnissen.
Einmal jedoch berichtet sie ihrer Mutter von einer Freundin, die »immer
strahlender und künstlicher« geworden sei in der letzten Zeit. Sylvia
schreibt, sie mache sich große Sorgen um dieses Mädchen. Ihre Freundin
habe nämlich Selbstmordgedanken. Die Mutter der Freundin habe dauernd
gesagt, daß das albern sei und daß sie doch alles schaffen könne. »Wenn
Du ihre Mutter wärst, dann wäre sie ganz in Ordnung«, endet Sylvia
ihren Brief. Sylvias Mutter ist nie auf den Gedanken gekommen, daß ihre
Tochter sich hier in verschlüsselter Form ihr mitteilen wollte. »In
Wirklichkeit war das betreffende Mädchen nicht selbstmordgefährdet«,
ist der Kommentar von Aurelia Plath zu diesem Brief, den sie
mit fast 400 anderen nach dem Tod Sylvias in Buchform herausgab. Noch
eine Stelle aus Sylvias Briefen zeigt, wie wenig die Mutter ihre
Tochter je verstand. Da hat Sylvia wirklich einmal gewagt,
sich ohne Maske zu zeigen und ganz verzweifelt geschrieben, daß sie in
Panik ist: »Wirklich, ich habe nur noch Panik, fürchterliche Panik. . .
Ach, ich fühle mich so einsam, nutzlos und gefangen!«

Auch diesen Brief hat Aurelia Plath kommentiert. So kommentiert:
»Hier in diesem Brief zeigte sich zum erstenmal ihre Neigung, gewisse
Situationen maßlos zu übertreiben.«

Sylvia Plath hat sich kurz darauf »wieder gefangen«. »Sei glücklich!
Glücklich!« so steht in ihrem Tagebuch, habe die Mutter ihr als Wunsch
mit auf den Lebensweg gegeben. Okay. Sylvia ist glücklich. »Kreativ
schreiben« ist ihr Berufsziel. Sie entwirft Pläne und Programme, wie
sie es verwirklichen kann. Sie lernt eine Schriftstellerin namens Val
Gendron kennen, von der sie den Rat bekommt, täglich vier Seiten zu
schreiben. Sie befolgt den Tip. Und schickt weiterhin Geschichten
und Gedichte an Zeitungen und Zeitschriften, alles säuberlich abgetippt
und jeweils mit einem adressierten und frankierten Rückumschlag
versehen. Über die Zu- und Absagen, die sie bekommt, führt sie eine
Liste. In ihrem Tagebuch beschäftigt sie sich währenddessen sehr
intensiv mit der Frage, wie sich künstlerische Arbeit und »normales
Leben« miteinander vereinbaren lassen. Noch kann sie sich nicht an die
Idee gewöhnen, irgendwann einmal zu heiraten und Kinder zu haben.
Andererseits, so überlegt sie weiter, kann es doch nicht richtig sein,
sich gegen ein normales und konventionelles Leben zu entscheiden.
Kinder sind eine »Kraftquelle«, das hat sie oft gehört, daran mag doch
viel Wahres sein. Vielleicht wird sie erst dann, wenn sie verheiratet
und Mutter ist, ihre wirkliche Ausdrucksform als Schriftstellerin und
Dichterin finden? Oder kann es sein, daß sie in der Ehe ganz »in einem
Mann aufgeht« und das Bedürfnis, zu schreiben, verliert?
Seitenlang quält sie sich während ihrer College-Jahre im Tagebuch mit
solchen Fragen. »Ich sehne mich nach Dingen, die mich am Ende zerstören
werden«, notiert sie einmal 1950. Und: »Warum kann ich nicht
verschiedene Leben anprobieren wie Kleider, um zu sehen, was mir am
besten steht und zu mir paßt?« Sie vertraut solche Gedanken nur ihrem
Tagebuch an. Nach außen ist sie so perfekt und gradlinig. Sie hat einen
boyfriend, den Mami billigt... Er will Arzt werden, das sind
gute Zukunftschancen für sie. Aber: Als er sie fragt, ob sie »seine
Frau« werden will, kommt es zu folgender Szene (Sylvia Plath hat sie
später in ihrem Roman »Die Glasglocke« beschrieben): Sie
verspürt den Zwang, lachen zu müssen. »Ich werde mein ganzes Leben lang
zwischen zwei sich ausschließenden Dingen hin und her fliegen«, sagt
sie. Und lehnt den Heiratsantrag ab.

Mit 20 anderen »Spitzenanwärterinnen« vom Smith College hat sich Sylvia
Plath 1953 um eine Redakteursstelle bei der Zeitschrift »Mademoiselle«
beworben. Sivvy, die die Pflicht hat, glücklich und erfolgreich zu
sein, wird auserwählt. Sie kann einen Monat in New York verbringen,
Zeitungsluft schnuppern und interessante Leute
kennenlernen. »Schmerzen, Partys und Arbeit« steht in ihrem
Tagebuch. »Wunderschön... lerne wahnsinnig viel... kriege enorme
Bildung!« schreibt sie nach Hause. Als perfekt geschminkte und
frisierte Jung-Reporterin wird sie fotografiert. Einmal aber bricht sie
in Tränen aus. Sie soll, wie alle Gastredakteurinnen der Zeitschrift,
für ein Bild posieren, auf dem symbolisch gezeigt wird, wie sie sich
ihren späteren Beruf vorstellt. »Dichter«, sagt sie, wolle sie werden.
Nach langen Überlegungen gibt man ihr eine Papierrose in die Hand und
sagt: »Zeigen Sie uns, wie glücklich es Sie macht, ein Gedicht zu
schreiben!« In Sylvia Plath' autobiographischem Roman »Die Glasglocke«
heißt es: »Wie der Mund einer Bauchrednerpuppe begann sich mein eigener
Mund endlich gehorsam nach oben zu verziehen.

He<, protestierte der Fotograf in plötzlicher Ahnung, >Sie sehen ja
aus, als ob Sie gleich zu heulen anfangen.< Ich konnte nicht mehr.«

Sie kann nicht mehr. Als sie nach diesem »Gast-Spiel« im Sommer 1953
nach Wellesley, Massachusetts, zu ihrer Mutter zurückkehrt, ist sie im
wahrsten Sinne des Wortes »am Ende«. Sie erfährt, daß sie für
einen »creative writing«-Kurs bei Frank O'Connor nicht angenommen
worden ist. Dieser Harvard-Ferienkurs, um den sie sich bewarb, gilt als
besonders gut und wichtig. Man hat sie abgelehnt. »Dann werde ich jetzt
kochen lernen und einkaufen gehen und versuchen, es Mutter schön zu
machen. Das hat einen Sinn in sich«, belügt sie sich selbst in ihrem
Tagebuch. »Alle anderen sind entweder verheiratet oder berufstätig und
glücklich und kreativ... und ich bin krank und lethargisch.« Das sind
ebenfalls Sätze aus ihrem Tagebuch in jenem Sommer. »So werden Sie
nicht weiterkommen. So werden Sie nicht weiterkommen. So werden Sie
nicht weiterkommen.« Mit dieser Ermahnung, die ihr ständig im Kopf
herumschwirrt, hält Sylvia Plath den Sommer 1953 in der »Glasglocke«
fest. Sie kann nicht weiter. Eines Morgens, als sie allein in
der Wohnung ist, nimmt sie 50 Schlaftabletten und verkriecht sich in
einem dunklen, versteckten Hohlraum im Keller ihres Hauses. Ihrer
Mutter hat sie die Nachricht hinterlassen, daß sie einen langen
Spaziergang unternehmen und vielleicht einen Tag lang weg sein würde.
Was anschließend geschah, läßt sich im Roman »Die Glasglocke«
nachlesen. Sylvia wurde nach drei Tagen von ihrem Bruder gefunden und
nach monatelangen Elektroschock- und Insulinbehandlungen von Ärzten und
Psychiatern wieder »in Ordnung gebracht«. Eine Therapeutin, Dr. Ruth
Beuscher, spielt in dieser Zeit - und dann noch einmal fünf Jahre
später - eine wichtige Rolle für Sylvia. Zu ihr sagt sie über
ihre Mutter: »Ich hasse sie.« Die Ärztin antwortet darauf ruhig:
»Ja, das tun Sie wohl.« Fünf Jahre darauf, so geht aus Sylvia Plath'
Tagebüchern hervor, hat jene Therapeutin ihr in einer Sitzung »die
Erlaubnis gegeben, meine Mutter zu hassen«. Sylvia Plath
fährt fort: »Besser als Elektroschock-Behandlung: >Ich gebe Ihnen die
Erlaubnis, Ihre Mutter zu hassen.<« Blondiert und braungebrannt und
bildschön kehrt Sylvia 1954 in ihr College zurück und setzt ihre
Erfolgsserie fort. Ihr »sonniger Optimismus« - so die Mutter - »brach
wieder durch«. Sie gewann wieder Preise und verkaufte Gedichte. Sie
bekam ein Stipendium (Fulbright für das Newham College in Cambridge.
Kurz zuvor wurde eines ihrer Gedichte preisgekrönt, und ein Mitglied
der Jury urteilte: »Sie ist eine Lyrikerin. Ich bin überzeugt davon,
daß sie weiter Gedichte schreiben wird, und ich möchte wetten, daß
diese Gedichte immer besser werden.« Sylvia: »Ich bin selig!« Wieder
stellt sie für ihre Mutter eine Liste auf mit allen Auszeichnungen für
schriftstellerische Leistungen, die sie bekommen hat. Sie reist im
Herbst 1955 mit ihrem Fulbright-Stipendium nach England. »Ich möchte
ein Leben voller Konflikte leben«, äußert sie sich in ihrem
Tagebuch, »Kinder, Sonette, Liebe und schmutziges Geschirr - alles
miteinander in Einklang bringen.«

Fasziniert ist sie, als sie in ihrem ersten Cambridge-Semester
einem »wirklichen Dichter« begegnet: Der englische Lyriker Ted Hughes,
drei Jahre älter als Sylvia, interessiert sich für sie.
Mein Gott, welch ein Leben... Sylvia malt sich aus, wie sie mit ihm
verheiratet sein wird. Sie werden beide schreiben und einander fördern.
Sie werden Kinder bekommen, zauberhafte, einmalige Babys. Sie werden
mit brillanten Zeitgenossen verkehren, endlos miteinander diskutieren
über ihre Texte, Gin trinken in der gemütlich eingerichteten Küche,
wenn sie ein raffiniertes kleines Essen zu sich genommen haben. Sylvia
wird Kochbücher studieren »wie Romane«. Sie wird sich einen exakten
Plan aufstellen, damit alles zu seiner Zeit funktioniert. Es wird einen
Bügel-Tag geben und einen Markt-Einkaufstag, auch nähen wird sie
lernen. Von ihrer Mutter läßt sie sich den Band »Freude am Kochen«
besorgen. Ihre Mutter ist auch als einzige Verwandte dabei, als sie im
Juni 1956 in London den Poeten Hughes heiratet. Gibt es eigentlich
tatsächlich einen siebenten Himmel? Falls ja: Sylvia lebt nun in ihm.
Sie setzt ihre Studien fort und arbeitet nebenbei als Fotomodell und
Reporterin für die College-Zeitschrift >Varsity<. Ted, ihr Mann,
veröffentlicht seinen ersten Lyrikband. »Er ist ein Genie, und ich bin
seine Frau!« jubelt Sylvia. »Welche Frau hat schon solchen Anteil an
der kostbaren Karriere ihres Mannes wie ich?« Sie nimmt ihm die
lästigen Schreibmaschine-Arbeiten ab. Ihr eigenes Arbeiten (»flache
Texte damals«, urteilt Ted Huglies) soll mit seinem verbunden werden.
Ihr schwebt vor, als Pseudonym den Namen »Sylvan Hughes« zu wählen. In
welch bedrohliche Situation sie rutscht, ahnt sie mitunter. Neben ihrer
hektischen Bemühung, sich in Kochbücher zu vertiefen, liest sie
Virginia Woolf. »Ich fühle, daß mein Leben irgendwie mit ihr verbunden
ist«, trägt sie in ihr Tagebuch ein. Das junge Dichter-Paar leidet
unter chronischem Geldmangel. Sylvia bietet sich die Chance, nach zwei
Cambridge-Jahren eine feste Anstellung als Lehrerin am amerikanischen
Smith College, wo sie einst studierte, zu erhalten. Sie haßt diese
Tätigkeit. Das merkt sie recht schnell. Das schreibt sie auch in ihr
Tagebuch. Wie gesagt, einen großen Teil davon hat jedoch ihr
Mann »gesäubert«. Alleinfünfmal taucht in Sylvias Tagebuchnotizen vom
Mai 1958 (damals unterrichtete sie Englisch im amerikanischen Smith
College) nach ein paar Pünktchen das Wort »omission« auf: Auslassung.

Sylvia Plath spürt: »Die Vorteile des akademischen Lebens - Sicherheit
und Ansehen - sehe ich nur allzu klar, aber sie sind der Tod des
Schreibens.« Formulierungen wie »zu abhängig von Ted« tauchen im
Tagebuch auf. »Ich habe kein Leben mehr getrennt von seinem... Ich darf
mich nicht von ihm formen lassen... Es ist eine höllische
Verantwortung, ich selbst zu sein.« Im Winter 1958 sucht sie erneut
ihre Therapeutin auf. Dies ist der Augenblick, in dem sie den vorher
schon erwähnten Satz zu hören bekommt: »Ich gebe Ihnen die Erlaubnis,
Ihre Mutter zu hassen.« Sylvia Plath wagt nun tatsächlich etwas für sie
Ungewöhnliches. Sie macht ganz radikal Schluß mit der akademischen
Karriere, von der ihre Mutter und viele ihrer Gönner »zu ihrem Besten«
immer noch träumen. Sie entscheidet sich für ein Leben als freie
Schriftstellerin:

»Ich habe meinen eigenen Traum, meinen, und nicht den amerikanischen
Traum.«

Im Dezember 1959 gehen die Hugheses, zwei freie Schriftsteller, nach
England zurück - Sylvia ist schwanger. Denn den Traum, »Babys, viele,
viele Babys« zu haben, den hat sie nicht aufgegeben. Ihre Tochter
Frieda wird im April 1960 in London geboren. Sylvia Plath' erster
Gedichtband (»The Colossus«) erscheint im Oktober 1960 in London.
Sylvia, Dichterin und junge Mutter, was schreibt sie in ihr
Tagebuch? »Ich finde, daß ich zu allererst dafür zu sorgen habe, daß
Ted Ruhe und Frieden hat. Dann bin ich glücklich. Und mache mir nichts
daraus, wenn ich erst ein paar Wochen später zum Schreiben komme.« (Mai
1960> Drei Monate später: »Ich lechze förmlich nach einem eigenen
Arbeitszimmer außer Hörweite des Kinderzimmers, wo ich ein paar Stunden
am Tag mit meinen Gedanken allein sein kann. Ich bin fest davon
überzeugt, daß ich einige gute Gedichte schreiben könnte, wenn ich
einen gewissen Zeitraum zur Verfügung hätte, in dem ich ungestört
bin.«

Zwei Jahre später schaffte sie sich diesen »gewissen Zeitraum«, und nun
entstanden Gedichte, intensive Verse: Dichtung. »Ariel« heißt der
Gedichtband, der ihr heute den Ruhm, »eine große, früh aus dem Leben
gegangene Dichterin« zu sein, eingebracht hat. Sylvia Plath bekam im
Januar 1962 ihr zweites Kind, einen Sohn. Sie wollte das Kind. Sie
wollte immer noch »Babys, viele Babys«. Sie schrieb, während sie mit
dem zweiten Kind schwanger war, den autobiographischen Roman »Die
Glasglocke«. Sie zog in der Zeit mit ihrem Mann aufs Land, nach Devon,
und baute sich eine unübertreffliche Idylle auf. Die Hugheses hatten
ein Bauernhaus mit Fliederbüschen und Erdbeerbeeten und Goldregen und
27 Apfelbäumen und einer eigenen Bienenzucht, Hühner sollten demnächst
auch noch angeschafft werden. »Mami«, sagt Sylvia Plath im Sommer 1962
zu ihrer Mutter, »ich habe alles im Leben, was ich mir je gewünscht
habe - einen großartigen Ehemann, zwei anbetungswürdige Kinder, ein
schönes Heim und mein Schreiben.«

Während sie das sagt, weiß sie, daß ihr Mann »eine andere« liebt. Sie
werden sich trennen. Sylvia wird mit den Kindern nach London ziehen
und »neu anfangen«; Jeden Morgen steht sie um vier Uhr auf und
schreibt. »Meine neuen Gedichte haben eines gemeinsam, sie wurden alle
gegen vier Uhr morgens geschrieben - in der noch blauen, fast ewig
währenden Stunde vor dem Kindergeschrei.« Das wollte Sylvia Plath im
Vorspann einer Lesung für den BBC sagen. In diesen Wochen im Winter
1962/63, als sie fieberhaft arbeitete, entstanden ihre besten Gedichte.
Ihr Roman »Die Glasglocke« erschien im Januar 1963 unter dem
Pseudonym »Victoria Lucas«. Sylvia wollte nicht, daß ihre Mutter ihn
las. »Das ist eine Brotarbeit und bloß zur Übung«, schrieb sie nach
Amerika. »Sie blieb unbarmherzig vergnügt und energisch«, beobachtete
der englische Literaturkritiker Alvarez im Dezember 1962. Daß sie »ein
strahlendes Lächeln« und einen »offenen amerikanischen Ausdruck« habe,
teilte eine Freundin der Familie Plath in einem Brief vom 19. Januar
1963 mit. Am 11. Februar 1963 drehte Sylvia Plath den Gashahn auf.

Der Arzt, der sie behandelte, hatte sich bemüht, für Sylvia einen Platz
in einer Klinik zu finden. Mit einer Psychiaterin war ein Termin
vereinbart für den 12. Februar 1963 (ein Tag nach dem Selbstmord). Ihr
Arzt glaubte, sie könne den Kampf gegen die selbstmörderische
Depression gewinnen; die Anwesenheit der Kinder würde ihr über das
Schlimmste hinweghelfen.
Freunde, die in den neuesten Biographien über Sylvia Plath zu Wort
kommen, beschreiben sie als »schwierig«, betonen ihre Besitzansprüche
Ted Hughes gegenüber (»Sie wollte ihn mit Haut und Haaren«) und weisen
immer wieder darauf hin, daß sie nach außen das Bild einer rundherum
tüchtigen Frau bot. Intelligent. Ehrgeizig. Energisch. Praktisch.
Die Lyrikerin und Literaturwissenschaftlerin Anne Stevenson, deren
Plath-Biographie von Sylvias Familie unterstützt wurde, legt die
Vermutung nahe, Sylvia Plath sei Opfer einer psychischen Erkrankung
gewesen. Sie zitiert Lucas Myers, der Sylvia und Ted in Cambridge
kennenlernte und einer ihrer engsten Freunde wurde. Myers ist davon
überzeugt, daß Sylvia in ihren letzten Jahren unbedingt eine gute, aber
unbeteiligte Freundin gebraucht habe. Eine Freundin, die ihre hätte
raten müssen: »Laß Ted Luft zum Atmen, dann wird alles wieder gut.«
Lucas Myers beendet seine Uberlegungen so: »Aber dieser Gedanke war
müßig. Sylvia besaß um diese Zeit die technische Meisterschaft, mit der
sie Gedichte schrieb, die bleiben. Aber der Treibstoff, der ihr zur
Verfügung stand, um diese Gedichte hervorzubringen, war der gleiche
Stoff, der ihren Selbstmord herbeiführte. Auf Kosten ihres Lebens und
auf Kosten derer, die sie überlebten, erreichte sie zweifellos, was sie
sich am meisten vom Leben wünschte: einen festen Platz in der
Geschichte der englischen Dichtung des zwanzigsten Jahrhunderts.«
_______________________________________________

copyright 1997 by Norgard Kohlhagen

Vervielfältigung und Nachdruck, auch auszugsweise oder in abgeänderter Form, bedürfen der Genehmigung der Autorin:
www.kohlhagen.de

Diese und andere Biografien von Schriftstellerinnen sind neu überarbeitet auch als Buch erhältlich:
www.Dichterinnen.de/Buch

Weitere Biografien im Internet unter:
www.Dichterinnen.de