Io Salbrechter Die Vernissage - und ihr Nachspiel Wir gehen zu einer Vernissage. Es ist fast genauso wie Sie denken: Alle möglichen Leute, die sich flüchtig kennen oder auch nicht, stehen herum und betrachten Bilder, deren Bedeutung sie nicht verstehen, zum Teil sehr modern und abstrakt. Sie lauschen in einem stickigen Raum mehr oder weniger andächtig den Worten der Galeristin, die die Ausstellung eröffnet. Die Künstler werden mit wohlwollenden Blicken bedacht - ganz kunstverständige Galeriebesucher eben. Wie bei wohl jeder Vernissage erntet der Satz :"Das Buffet ist eröffnet.", den stärksten Applaus. Doch etwas ist bei dieser Vernissage anders - ganz anders: Wir befinden uns bei der jährlichen Eröffnung der Ausstellung der "Kreativen Frühförderung". Sie wissen nicht, was das bedeutet? Das bedeutet: Die Künstler sind zwischen drei und 10 Jahre alt. Das wäre noch nicht weiter erwähnenswert, aber sie sind alle ANWESEND! So werden Säfte verschüttet, Brötchen auf den Boden gematscht und Soletti unters Volk gemischt. Meine Familie ist auch anwesend. Ganze elf Mann hoch bewundern wir die Werke unserer Ildiko. Wir benehmen uns eigentlich nicht anders als die anderen Familien: Nach der ersten Vieltelstunde lassen wir die Bilder Bilder sein, stopfen Sekt und Brötchen in uns hinein und tratschen den neuesten Tratsch. Dann aber kommt mein Sohn Attila: "Kilian ist im Garten in den Teich gefallen." Er ist bis auf die Haut klitschnaß. Ich ziehe dem weinenden Kilian vor den ironischen Blicken der übrigen Besucher seine Turnschuhe, Socken, Hose Sweater, Unterhemd und Unterhose (auch naß) aus und Ildikos Sweater an. Dann gehen wir. Zu Hause sollen die Kinder gleich ein warmes Bad nehmen, zur Entspannung, meine ich. Ildiko schleppt Kilian ins Bad, er wehrt sich, und sie läßt ihn fallen. Er fällt auf den Kopf. Dann wird ihm schlecht und er erbricht. Jetzt wird mir gleich schlecht. Ich komme ins Bad. Ildiko hat das Fenster geöffnet, sich auf das Fensterbrett geschwungen und hängt bereits zur Hälfte nach draußen. Wir wohnen ja Gott sei dank nur im ersten Stock. Ich zerre sie zurück und schreie sie an. Zwar pädagogisch vielleicht nicht sehr wertvoll, aber das einzige, wozu ich in dem Augenblick imstande bin. Ich verlasse das Bad, um mich kurz zu sammeln. Da höre ich Kilian markerschütternd schreien. Ich stürme zurück. Attila informiert mich: "Kilian hat plötzlich so arge Kopfschmerzen!" Mir wird schlecht vor Sorge. Da erfahre ich, daß er sich den Kopf an der Badewannenarmatur angestoßen hat. Ich sacke am Klo zusammen. Jetzt sitzen alle drei vor dem Fernseher und stopfen Schokolade in sich hinein. Ich habe nicht mehr die Kraft, es zu verbieten. Hoffentlich verschluckt sich nur keiner. |
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