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Brigitte Hieronimus

Wenn du noch leben würdest


Was würde ich dir sagen?
Dass du mir beim Streiten fehlst.
Hab nie mehr jemanden gefunden, der sich mit mir messen wollte.
Weißt du noch, wie ich immer im Türrahmen stand und mit dir über deine Verbote stritt?
Sie waren so albern.
Dich ärgerte es, dass Jungens um unser Haus streunten.
Ich sei zu jung für sie.
Und alle wären sie Schweine, du würdest das schließlich am besten wissen.
Ließ mein Rapunzelhaar nur aus diesem Grund nicht herunter, weil ich dir gefallen wollte.
Ich sehe dich immer noch da sitzen, so als wäre es gestern.
Deine kleine Gestalt im Sessel, aber Hände wie ein Schaufelbagger, die eine Flasche Bier hielten. Dein gewelltes Haar, dein Gesicht, das selbst beim Sterben schön anzusehen war.
Höre deine Stimme, vor der ich als Kind Angst hatte und mich unter den Tisch flüchtete, sobald ich deinen Schlüssel in der Haustür hörte.

Was ist aus meiner Angst geworden?
Wohin entschwand sie?
Sie ging an dem Tag, wo ich dich weinen sah.
Tränen für deine Mutter.
Noch auf dem Sterbebett verprügelte sie dich.
Da warst du neun und hattest Bonbons geklaut.
Am nächsten Tag war sie tot.
Seitdem Wildwuchs im Herzen.
Für jede Sünde
Rache geübt.
Vor allem an Frauen.
Du liebtest meine Vergissmeinnichtaugen, die denen deiner Mutter so ähnlich waren.
Worte aus Stahl zerschnitten die Luft zwischen uns, bevor wir uns befrieden konnten.
Und meine Mutter lag allein im Bett.
Mitternacht war unsere beste Redezeit.
Hol mir noch ein letztes Bier, sagtest du mit rauer Stimme und ludest dazu ein, mich zu setzen. Da stand ich schon zwei Stunden zwischen Tür und Angel und wetzte meine Zunge für dich.

Was du mir geschenkt hast, reicht für ein Leben. Für mein Frauenleben allemal. Es gibt niemanden, der mich aushält.
Alle haben Angst vor meiner lauten Stimme, zucken zusammen und flüchten in Ecken, verteidigen sich, klagen an, machen Vorwürfe, beschwichtigen, deckeln und dämpfen mein Temperament.

Für ein Mädchen war ich immer
zu laut
zu neugierig
fragte Löcher in den Bauch
war zu anstrengend
fiel mit weißen Strümpfen in Pfützen
ließ mir keine Zöpfe flechten
spielte nicht mit Puppen
kroch nicht zu dir auf den Schoß
war immer zu vernünftig
nur wenn ich wütend war, war ich mir nah
Wut tat mir gut.
In diesen Nächten führtest du mich in die Kunst des Streitens ein. Mutter konnte nicht streiten. Nicht mit dir und nicht mit mir. Auch nicht mit meinen Brüdern. Dafür konnte sie leiden. Trank ihren Schierlingsbecher Tag um Tag, damit sie schlafen konnte. Polsterte Wunden mit ihren Söhnen aus, schmiedete am Triumvirat ihrer Weiblichkeit.
Wir vergnügten uns indessen mit Worten.
Schmissen mit Liebe nur so um uns.
Berührten uns nie, ein zarter Kuss auf deine unrasierte Wange, war das höchste, und ich entschwand damit in mein Zimmer.
Die Uhr zeigte immer halb drei
Das ist heute noch meine Zeit. Wenn ich vor der Schreibmaschine sitze und an meinen Sätzen feile. Du wärst stolz auf mich. In diesen Nächten ohne dich, spüre ich dich und bin so Vaterseelenallein.



Autorin:
Brigitte Hieronimus
Schriftstellerin und Autorin
Seminarleiterin für Wechseljahre
Beratung und Coaching

www.brigitte-hieronimus.de