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Barbara Fabricius-Exner

Freischwimmer


In der mittäglichen Stille klingt nur das gemächliche Rauschen der kleinen Wellen, selbst das Meer wirkt schläfrig in der Hitze.
Ich habe mich in den Schatten einer Pinie gesetzt, um zu lesen und ab und zu träge die Augen zu schließen.
"Ich gehe eine Runde schnorcheln", sagt mein Sohn. Er zieht seine Taucherbrille von der Stirn über die Augen, nimmt das Mundstück seines gelben Schnorchels in den Mund und lässt sich in das Wasser gleiten. Er hat seine Schwimmflossen an und braucht nur ein paar kräftige Beinschläge, um sich zügig vom Ufer zu entfernen.
Er schwimmt wie ein Otter, flink, schnell und sicher. Manchmal auch etwas verspielt, dann sehe ich, wie sein Kopf im Wasser verschwindet und seine langen Beine aus dem Wasser emporschnellen. Er wedelt mit den großen Flossen. Wasserkopfstand. Dann taucht sein Kopf wieder auf und er prustet einen Strahl Wasser aus seinem Schnorchel wie ein Wal.

Es ist ein beruhigendes Gefühl, dass er so gut schwimmen kann. Da wir oft Urlaub am Meer machen, war es uns wichtig, dass unsere Kinder schon frühzeitig schwimmen lernen. Ein Stück Sicherheit, für sie und für unsere elterlichen Nerven.

Ich kann also ruhig weiterlesen während er die Bucht erkundet. Trotzdem, wohl aus alter Gewohnheit, blicke ich nach wenigen Minuten wieder auf und suche auf den leicht gekräuselten Wellen nach seinem Kopf. Da, etwa 100 Meter weit draußen, da ist sein Schnorchel und ich sehe auch, wie seine Flossen das Wasser aufspritzen lassen.
Ich schließe die Augen und höre eine einzelne Zikade.
Eigentlich ist es noch nicht lange her, da war er ein Junge, der am liebsten Kanäle in den Sand geschippt hat. Das ist erst 3, 4 Jahre her. Im letzten Jahr ist er so schnell gewachsen, hat sich so verändert, dass ich ihn immer wieder ansehen muss, um zu begreifen, dass dieser breitschultrige junge Mann, der schon ein bisschen auf mich heruntersehen kann, tatsächlich mein Sohn ist. Ich bin stolz auf ihn.

Aber er ist auch immer noch mein Kind.
Ich öffne die Augen wieder und suche automatisch das Meer ab. Er ist schon ziemlich weit draußen. Für meinen Geschmack etwas zu weit. Ich raffe mich auf, hole den Fotoapparat und beobachte ihn durch das Teleobjektiv. Mit kräftigen Kraulbewegungen schwimmt er auf die rechte Seite der Bucht , einen bizarren Felsvorsprung, der weit in´s Meer reicht, zu.

Er ist viel zu weit draußen. Ich weiß, dass es außerhalb der Bucht mitunter heftige Strömungen gibt. Gut, er ist ein ausgezeichneter Schwimmer, er hat mehr Kraft als ich. Aber ist er sich auch der Gefahren bewusst? Habe ich ihn auf diese Strömungen hingewiesen? Ich kann sehen, wie er hinter dem letzten Felsen verschwindet.
Was, wenn ihm etwas zustößt? Wenn er sich verletzt?
Mein Mann kommt und setzt sich neben mich.
"Felix ist weit rausgeschwommen. Ich seh ihn schon nicht mehr!"
"Mach dir keine Sorgen, der kommt schon wieder", antwortet er, legt sich hin und schließt die Augen.

Wie kann er so ruhig liegen bleiben? Ich sehe auf die Uhr, seit 25 Minuten ist er jetzt draußen. Und ich kann ihn nicht mehr sehen. Erst letztes Jahr habe ich im Stern oder im Spiegel, jedenfalls war es kein Revolverblatt, gelesen, dass immer wieder Haie in der Ägäis in Strandnähe auftauchen. Was, wenn...nein, das ist hysterisch, das will ich nicht denken. Aber ich wünschte doch, ich hätte ihm das mal erzählt.
Er könnte jetzt wirklich langsam auftauchen. Über eine halbe Stunde ist er jetzt weg und der Rückweg ist ja auch noch weit. Er wird sich total verausgaben. Vielleicht hat er dann keine Kraft mehr und kommt nicht mehr gegen die Strömung an, nicht auszudenken.
Und sein Vater hat die Ruhe, einfach zu dösen. So ein Ignorant.

Ich stehe jetzt am Ufer und suche durch das Tele das Meer ab. Er muss doch wiederauftauchen! Wenn er wieder da ist, werde ich ihm mal ein paar Takte dazu sagen. Einfach zu verschwinden, außer Sichtweite und so lange! So geht das nicht.
Und ich steh hier und mach mir Sorgen. Rotzlöffel.

Nach 55 Minuten ist er wieder da. Bevor ich den Mund auf habe, sagt er "Ich hab einen super Schnorchelgrund gefunden! 1000 Fische! Du musst mal mit mir mitkommen!" Er ist ganz begeistert.

Ich zögere einen Moment.
"In Ordnung. Machen wir." Mehr sage ich nicht.

Jetzt bin ich stolz auf uns beide.