Barbara Fabricius-Exner Fernsehgericht Das Telefon klingelt. Es steht im Erdgeschoss in der Wohnküche und klingelt boshafter Weise immer, wenn ich oben unter dem Dach zu tun habe. Ich starte durch, zwei Treppenstufen auf einmal. Es ist bestimmt der Schreiner. Ich warte auf seinen Anruf. Er selber ist - wie ale Handwerker - schwer zu erreichen. Ich bin schnell. Als das Telefon das dritte Mal klingelt hebe ich ab und nenne etwas kurzatmig meinen Namen. "Hier ist Sandrine.“ Oh Gott. Sandrine. Eine Strafe und ich weiß nicht, wofür. "Hallo“, sage ich und warte ab. "Haaach“, sagt sie gedehnt, "ich wollte mich mal wieder melden...“ Tja, Sandrine. "Was gibt’s?“, frage ich in der vagen Hoffnung, dass sie schnell zur Sache kommt. Ich kenne sie: wenn sie anruft will sie etwas. Quatschen, sich auf eine Tasse Kaffee einladen, mir ihren Sohn unterschieben. "Mir fällt die Decke auf den Kopf“, jammert sie und macht eine erwartungsvolle Pause. Ich sag nichts. "Bist du noch dran?“, fragt sie beunruhigt. "Ja. Also, was gibt’s Neues?“ Halbherzig setze ich mich an den Tisch, nehme einen Kuli in die Hand und suche nach einem Stück Papier um ein bisschen zu kritzeln. Sandrine nimmt Anlauf zur erste Klatsch-und-Tratsch-Geschichte. Ich finde die Fernsehzeitung...gut genug für meine Malereien. Zick-Zack-Zick-Zack-Strich-Strich-Strich. "Ich find es ja sooo schade, dass die Kleinen nicht mehr miteinander spielen“, klagt Sandrine. "Tja“, sage ich lahm, "so ist der Lauf der Zeit.“ Wenn sie doch mal aufhören würde, von unseren Söhnen als ‚den Kleinen’ zu reden! Wir haben uns am Sandkastenrand kennen gelernt und da unsere Kinder damals noch zu klein waren, um sich ohne uns zu treffen, war sie ein paar mal mit Kevin auf einen Kaffee bei mir. Seither behauptet sie hartnäckig, ich sei ihre Freundin. Gutheit ist Dummheit, ich hab’s immer gewusst. Unsere Söhne sind jetzt 11 und haben sich nichts mehr zu sagen. Sandrine mir schon. Langsam male ich am oberen Rand der Fernsehzeitung eine Pistole und lasse in regelmäßigen Abständen Kugeln aus ihr fliegen. Sandrine schwatzt. Auf dem Bild oben in der Ecke des heutigen Fernsehprogramms ist ein älteres Paar damit beschäftigt, irgendetwas in einer Schale zuzubereiten. Sie sehen sehr konzentriert aus, wie Wissenschaftler. Aber es soll wohl Essen sein, was sie da anrichten. Vielleicht mischen sie Gift rein, um irgendeinen Einfaltspinsel um die Ecke zu bringen. So wie der Typ auf dem Bild darunter. So grinst Sandrine auch manchmal. "Sag mal“, ihre Stimme wird jetzt lauernd, "habt ihr im Lotto gewonnen? Hab ich nicht heute früh deinen Mann in einem nagelneuen BMW gesehen?“ "Nein, hast du nicht“, sag ich und belass es dabei. Soll sie doch platzen. Überall steckt sie ihre Nase rein. Ja. Genau: aus der Seite guckt auch so eine Nase heraus und ich fange an, sie mit Warzen und Mitessern zu verzieren. Mit fallen ein paar Worte ins Auge: ‚..ob man sich rieche kann’ und ein Stück weiter unten steht ‚Persona Grata Productions’. Kann kein Zufall sein, dass DIESE Seite aufgeschlagen ist! Ich schreibe ‚Persona NON Grata’ darüber, unerwünschte Person. Das trifft’s. Sandrine ist mittlerweile beim Pekinesen ihrer Mutter angelangt, der eine Blasenentzündung hat. Es reicht, wenn ich ab und zu ‚ach, wirklich’ oder ‚ja, ja’ sage. Während Sandrine unentwegt weiterplappert, fällt mir auf, dass das auf dieser Fernsehseite unsere Geschichte ist: was ich sehe, ist die Geschichte einer unerwünschten Person, die ihre Nase überall hineinsteckt und der man am liebsten was ins Essen tun würde, um sie loszuwerden aber es klappt nicht. Ich glaube, ich bin der Asiate auf dem Bild unten links. Ich male ihm Mephisto-Augenbrauen und diabolisch grinsende Mundwinkel. Jetzt fühl ich mich schon wohler. "Sag mal, was kochst du eigentlich heute?“ Sandrine fragt nicht ohne Grund. "Bei uns gibt’s Frühlingsrollen“, sag ich, den Blick fest auf die Zeitung gerichtet. DAS ist jetzt meine Chance. Sandrines Mann, der sie immer mit ‚Sandrine-Cherie’ betitelt, besteht diktatorisch darauf, dass abends um 18 Uhr ein sorgfältig zubereitetes Essen auf ihn wartet. Wenn das Essen nicht pünktlich ist oder ihm nicht zusagt, dann dreht er sich auf dem Absatz um und geht zu seiner Mutter essen! "Das ist eine Idee“, sagt sie. "Ich steh ja eher aufs Französische, du weißt ja, mein Vater ist Franzose, aber Micha mags schon mal chinesisch. Nimmst du die von Dr. Oetker oder von Frosta?“ "Ich mach sie selbst“, sag ich. "Also, Sandrine, die solltest du mal ausprobieren, deinem Mann zuliebe. Ich habe ein Original-Rezept aus China. Meine Freundin aus San Francisco hat es von einem Exil-Chinesen, der dort ein Restaurant hat“, lege ich mich ins Zeug. Sandrine beißt an schließlich soll Micha ja nicht zu Mama gehen! Mit der Begeisterung eines Versicherungsagenten, der einen Kunden an der Angel hat, beschreibe ich ihr nun die Anatomie einer Frühlingsrolle. DIESES Rezept wird absolut exquisit, was Zutaten und Herstellung angeht: "Du brauchst geräucherte Schweineohren, Langohren-Morcheln, Piri-Piri-Schoten, Sojabohnensprossen und rote Paprika. Dazu Fischsauce, Pinienkerne....“ Sandrine schreibt alles mit, was ich mit boshafter Energie aufzähle. "Da muss ich aber eine Menge einkaufen“, sagt sie, "aber das ist es mir wert. Übringens, was ich noch fragen wollte: willst du nicht heute Abend mit zu einer Tupper-Party kommen?“ "Tut mir leid, ich bin heute schon verabredet mit...“, mein Blick fliegt über die Programmseite und bleibt dann hängen "...mit Marlene.“ "Schade“, sagt Sandrine. "Danke für das Rezept und bis demnächst.“ Sie legt auf. Erleichtert schau ich auf die vollgemalte Seite vor mir. Wirklich eine klasse Zeitung! |
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