Barbara Fabricius-Exner Mon Cherié Ich wurde mit festen Grundsätzen erzogen, die einem im Leben helfen sollen, auch Krisen zu überstehen. Ein paar davon lauten: "Freu dich über Geschenke, aber erwarte keine", "Geschenktem Gaul schaut man nicht ins Maul" sowie auch "Der gute Wille zählt". Diese Grundsätze machten es mir möglich, Geschenke wie quergestreifte Flanellnachthemden Größe 44 oder Trachtenpupen mit Schlafaugen mit einem Lächeln zu meistern. Bis ein kleines, unscheinbares Geschenk mich in eine tiefe Krise stürzte. Ich bekam zum Geburtstag ein Paket von Schwiegermama, in dem ich einen schönen, dicken Urlaubsschmöker fand, eine freundliche Karte und ein zweites, kleines Päckchen, in dem sie ein "süßes Extra für mich allein" ankündigte. Nun bin ich süßen Sachen nie abgeneigt: von bunten Smarties bis zu belgischen Pralinen ist mir eigentlich alles recht. Voller Vorfreude hob ich das kleine Päckchen an mein Ohr und schüttelte es. Ein leises, wohlgeordnetes Rappeln deutete auf ordentlich geschichtete Pralinen hin. Zeigt euch, ihr Süßen, flötete ich und riss das Papier auf.Vor mir lag eine rosarote Packung, auf der das Bild einer dunklen Praline und einer roten Kirsche zu sehen war. Der Schriftzug "Mon Cherie" verbreitete ungebremsten 60er-Jahre-Charme. Und leider gehört diese Sorte zu en ca. 3 Süssigkeiten, die mich völlig ungerührt lassen. Aber da der gute Wille auf beiden Seiten zählt, beschloss ich, den Pralinen eine Chance zu geben und öffnete die Packung. Ich stellte schnell fest, dass, wessen Cherie es auch immer sein sollte, es nicht meins war. Die Schokolade zu herb, der Likör zu klebrig, die Kirsche solala. Abends bot ich dem Göttergatten etwas an, de ein großer Fan von dunkler Schokolade ist. Nein, nein, wehrte er ab, die sind mir zu süß! Und außerdem, fügte er süffisant lächelnd hinzu und hob eine Augenbraue, sind die für dich allein... Da ein weiterer Grundsatz meiner Erziehung lautet "Wirf nie etwas Essbares weg", beschloß ich am nächsten Tag, die Kirschen aus den Pralinen zu operieren und auf Vanilleeis zu essen. Den Likör ließ ich auslaufen und die Schokoreste würden in einen Kuchen kommen. Ich machte mich ans Werk und hatte schon etwa die halbe Packung verarbeitet, als das Telefon klingelte. Reflexartig griff ich zum Hörer. Hallo-ho, hörte ich Schwiegermamas fröhliche Stimme. Ist mein Päckchen rechtzeitig angekommen? Zehn Minuten später wollte ich den Hörer wieder auflegen, aber frustriert musste ich erkennen, dass er an meiner Hand festklebte... Süß verklebt den Verstand, pflegt der Göttergatte stets zu sagen. Wenn der wüsste... Wenige Wochen später kamen meine Schwiegereltern auf einen Kurzbesuch und hatten eine große Packung "Mon Cherie" dabei. Diesmal war ich schlauer! Tausend Dank, sagte ich und ließ sie im Vorratsschrank verschwinden. Da lag sie nur kurz, weil ich sie drei Tage später meiner Freundin Rita mitnahm. Als Mitbringsel. Vie Monate später hatte ich Rita und ihren Mann zum Essen eingeladen. Sie kamen mit einer guten Flasche Wein und einer Packung "Mon Cherie" unterm Arm. "Gut, dachte ich, dann werden sie also sofort verfüttert, öffnete die Packung und bot an. Die Pralinen waren blau angelaufen. Hmm, murmelte Rita, da hat mir jemand eine alte Packung angedreht. Rita bekam nie wieder "Mon Cherie". Die nächste Packung bot ich wieder Gästen nach einem üppigen, mehrgängigen Essen zum Espresso an. Nein, vielen Dank, lehnten sie ab, wir sind gerade auf Diät. Ich wurde das dumme Gefühl nicht los, dass das eine Ausrede war. Es gab "Mon Cherie" zu jeder Gelegenheit: zum Geburtstag, zu Ostern, zu Pfingsten, als Mitbringsel und jedes Mal hatte ich das gleiche Problem. Nach etliche "Mon Cherie"-reichen Jahren stand ich einmal mit Schwiegermama in der Küche bei einem Schwätzchen. Ach, sagte ich, wem soll da schlechte Leben nützen? und bot ihr eine dieser Kirschpralinen an. Nein Danke, lehnte sie spontan ab, ich mag die nicht. Aber irgendwie krieg ich ständig welche..., sie stockte, wurde ein bisschen rot, fing sich dann aber und meinte: Vielleicht sollte ich dir mal was Anderes schenken? Ja!, antwortete ich schnell, Schenk mir Essig-Chips. Das ist wirklich war Besonderes! Das Problem war gelöst."Bis meine Mutter letztens mit einer Packung "Mon Cherie" auftauchte und im Verschwörerton meinte: Ich weiß doch, was mein Mädchen mag. Du hast doch immer welche im Haus. Morgen probier ich "Mousse au Mon cherie". |
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