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Anita Gertenbach

Ausgegluckt


Heute führte mich meine Einkaufsliste zu einem Biobauernhof. In der Nähe des Hofladens beginnt das Freigehege für glückliche Hühner. Da noch eine Kundin vor mir dabei war, ihre Auswahl zu treffen, hatte ich Zeit, dem Federvieh zuzusehen und meinen Gedanken nachzuhängen:

Hennen glucken um ihre Küken herum; picken ihre Körnchen, um fit zu bleiben für die Kinderschar und kümmern sich keinen Deut darum, ob ihr Federkleid schlecht sitzt. Vielleicht fragt sich so eine Henne manchmal, ob es nicht besser gewesen wäre, das eine oder andere Ei zum menschlichen Frühstück freigegeben zu haben, um etwas stressfreier zu leben. Aber dann zuckt sie resigniert mit den Flügeln, um gleich darauf hinter dem einen Frechdachs herzujagen, der mal wieder dabei ist, sich durch den Maschendrahtzaun in die verlockende weite Welt abzusetzen.

Ist es nicht erschreckend, wenn man sein direktes Pendant soeben plusternd in einem Staubloch sitzen sieht?

Ich gebe bei der Frage nach meinem Beruf gezwungenermaßen die Antwort "Hausfrau", was an sich schon schlimm genug ist, weil selbst Frauen das nicht als Beruf bezeichnen würden. Der Zusatz "...und Mutter" will mir nicht über die Lippen. Zu sehr wird dieser Beisatz daraufhin interpretiert, dass man bei der Geburt des Sprösslings außer ein paar Kilos auch etwa 90 % seines Wortschatzes verlor, der sich fürderhin auf Sätze beschränkt, wie "Eia, wo isser denn??", "Kuckuck, daaaa!" und "Bring nach der Arbeit bitte Milchbrei mit, aber nur Banane, Mandarine spuckt er sofort wieder aus." Natürlich lernen wir in den nächsten Jahren ein paar neue Worte kennen, solche, die uns selbst vor der Mutterschaft nicht bekannt waren. Ich denke da zum Beispiel an "Power Rangers", "Ninja-Turtles" oder "Pokémon". Darüber hinaus befleißigen wir uns sogar des Pluralis Majestatis : "Wir pusten das Aua wieder weg!" Wir werden mit neuen Aufgaben konfrontiert: wie kriege ich etwas von dem grünen Zeug namens Brokkoli ins Kind? Wissen Sie eigentlich, dass es unzählige Kochbücher gibt, die sich allein dem Thema widmen, wie man Gemüse derart verkleidet, dass der Nachwuchs willig sein Mäulchen aufsperrt? In der Zeit der Kinderkrankheiten absolvieren wir einen Learning-by-doing Crashkurs in Krankenpflege und in den nächsten Jahren kurven wir als Chauffeur zu Kindergeburtstagen und Musikunterricht durch die Stadt. Wenn ein Taxifahrer mal nicht weiter weiß, sollte er die Mutter einer mehrköpfligen Kinderschar fragen. Die Frau kennt Straßen, die selbst den Verkehrsdezernenten in Ratlosigkeit stürzen würde. Trotzdem veranlasst die Berufsbezeichnung "Hausfrau und Mutter" niemanden dazu, bewundernd mit dem Kopf zu nicken – obwohl kaum ein Job mit der gleichen Hingabe und Begeisterung gemeistert wird.

Irgendwann kommt der Tag, da öffnet die Frau, durch einige glückliche Umstände ihrer Kinder kurzzeitig entledigt, die Augen und sieht sich um.

Die Leute von der Bundesregierung haben plötzlich ganz andere Namen, man trägt die Röcke neuerdings bis zum Knie und wer ist eigentlich Daniel Kübelböck?? Und hier finden wir endlich den langersehnten Unterschied
zwischen Frau und Henne. Während im Tierreich schon fleißig an der nächsten Population gebastelt wird, wischen wir Frauen uns den Schweiß von der Stirn und bemerken: Puh, das Schlimmste ist geschafft!! Wer einmal feststellen durfte, dass der Schmöker von Mankell ungleich interessanter ist als der 32. Band von Benjamin Blümchen, und dass im Kino auch Filme mit Altersbeschränkung laufen, bei denen der Eisverkauf nicht länger als der Hauptfilm dauert, der ist unweigerlich am nächsten markanten Punkt seines Lebens angelangt: der Abnabelung von den Kindern. Kaum fällt die Tür hinter ihnen ins Schloss, überkommt uns Tatendrang.

Für manche Frauen mit Wehmut verbunden, bin ich dagegen meinem Sohn höchst dankbar, dass er stetig älter wird. Mit jedem Puberttätsschub rückt die Zeit näher, in der ich meine Mutterliebe nicht mehr durch Fahrdienste und abgehörte Vokabeln beweisen muss. Ich weiß schon, sie wird mich dazu bringen, kein Auge zuzutun, bis er nachts endlich heim kommt und tausend Tode sterben, weil er den Führerschein gemacht hat. Hoffentlich wird der größte greifbare Beweis meiner Liebe der sein, dass ich mir von meinen Ängsten nichts anmerken lasse. Statt dessen arbeite ich weiter an meinem ganz persönlichen Aufbruch, wie auch immer der aussehen wird.

Höchste Zeit, etwas zu machen, das dem Hausfrauenmuff vertreibt. Haben Sie sich schon etwas ausgedacht? Was es auch sei, unsere Männer werden kopfschüttelnd alle neuen Aktivitäten beobachten und mal wieder nicht verstehen, warum wir uns plötzlich für Dinge wie Esoterik, Tai-Chi, Kickboxen oder Buchhaltung interessieren. Als ob es nicht offensichtlich wäre: das Nest liegt verwaist, wir haben uns hinter dem letzten Küken durch den Maschendrahtzaun gezwängt und rennen mit begeistertem Gackern neuen Abenteuern entgegen.