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Augenzwinkernd auf die Barrikaden:
Wie die Hausfrauen die Revolution ausrufen
von Claudia Lepping
erschienen in den Stuttgarter Nachrichten am 07.08.04


Auf 1700 Meter Höhe, wo die Luft am klarsten ist, lässt sich gut Dampf ablassen. Da schallen der Ruf, selbst ein disharmonischer Schrei glockenklar über die Gipfel gegen die Gletscher in die Täler – und zurück. Von hier aus, wo sonst, lassen sich leicht Revolutionen ausrufen. Die Revolution schlechthin: die Hausfrauenrevolution! Und so stehen sie hier, die Hausfrauen aller Bundesländer, vereinigt im Chor, und, nein, sie kreischen nicht und sie schreien nicht, sie jodeln. Ein Echojodeln. Immer wieder geht es und kehrt es zurück über den Hochfelln bei Bergen im Chiemgau: Huljo dü-rü.


Da hat man etwas Eigenes, wenn die Kinder aus dem Haus sind, lässt "Loriot" Vico von Bülow seine Frau Hoppenstedt sagen: So ein Jodeldiplom bleibt, wenn der Ruf längst verhallt ist. Der Ruf verhallt? "Unser Ruf verhallt nicht", sagt Frau Kroetz-Relin. Sie ist keine Kopfgeburt des begnadeten Humoristen. Aber mindestens so augenzwinkernd, bei allem Ernst: Sie ist Deutschlands erste Hausfrauenrevolutionärin, Managerin sämtlicher realer und virtueller Projekte des gleichnamigen Internetforums, dreifache Mutter, Buchautorin, mit der Goldenen Kamera ausgezeichnete und zu Gunsten der Familie desertierte Schauspielerin, Tochter Maria Schells und Veit Relins, Gattin "ihres Dichters" Franz Xaver Kroetz – und eben die Stimme all jener Hausfrauen, die sich hier gerade beim Jodeln versuchen.

"Wer jodelt, streitet nicht, der solidarisiert sich mit allen, die es auch nicht können und freut sich über den gemeinsamen Erfolg", sagt die 38-Jährige. Hinzu komme: Wer jodelt, lernt sich auszudrücken. Traut sich. Laut und deutlich. Eben so, wie es allzu viele Hausfrauen verlernt, nie gelernt hätten. Anmeldungen fürs Vollmondjodeln werden noch angenommen.
Huljo dü-rü. Und mehr. Das Wort hat eine hohe Macht, sagt Marie Theres Kroetz-Relin. Darum begann sie zu schreiben. Revolution! Als Beruf gibt sie Hausfrau an. Laut und deutlich. Als sie diesen Beruf 17 Jahre gemacht habe, sei ihr aufgegangen, dass sie später im Alter bis auf eine mickrige Rente von 260 Euro nichts davon haben wird – obwohl sie dann ihr Leben lang gearbeitet hätte, als Managerin zum Nulltarif. Dann habe sie gemerkt, wie viel Kreativität sich in ihr während des Mutter- und Hausfrauenseins aufgestaut habe; verkümmertes geistiges Potenzial zwischen Windeln, Elternsprechtag, Töpfen, Steuererklärung, Waschmaschine und Ehebett.

Hinzu kam die ganze Wut darüber, dass dieser Beruf keinerlei gesellschaftliche Anerkennung findet. "Wir Nur-Hausfrauen haben das geduldet. Wir haben vor unserer Weiblichkeit kapituliert und schämen uns des Berufs Hausfrau." Und schließlich – als Kroetz-Relin die Hausfrauenrevolution aus einer Laune heraus für sich selbst ausgerufen hatte, in dem sie über ihren Beruf zu schreiben begann wie in einer Satire, "um nicht zu explodieren" – seien da sofort die vielen anderen Frauen gewesen, die sich zu Tausenden gleich am ersten Tag auf die Homepage klickten. 2,5 Millionen Namen umfassen die Foren seither. Wöchentlich gehen bis zu 10 000 Hausfrauenrevolutionäre auf die Website – darunter viele Männer. "Gerechnet", sagt Marie Theres Kroetz-Relin, "habe ich mit diesen Zahlen nie."
Seither fasziniert sie, wie Hausfrauen, Kinderreiche, Alleinerziehende, Berufstätige, Geschiedene und solche, die es gern wären, Witwen, Kinder, Mütter von kranken oder behinderten Kinder und Frauen prügelnder Ehemänner sich allein dadurch Mut machen, dass sie miteinander chatten. Oder einander treffen. Dass sie sich anonym oder von Angesicht zu Angesicht vergewissern, nicht allein zu sein mit ihren Problemen – und sogar stark sein zu können, wenn sie nur zusammenhalten. "Wenn wir aktiv werden, können wir die Dinge ändern", sagt Kroetz-Relin. Von der Solidarität zu neuem Selbstbewusstsein zu praktischer Hilfe: "Wer in Not ist, dem wird geholfen, ohne das an die große Glocke zu hängen." Wohlhabende Hausfrauen sponsern weniger wohlhabende, frühere Alkoholikerinnen unterstützen Abhängigen; es gibt kein Problem, mit dem eine Hausfrau tatsächlich ganz allein ist, auch nicht mit der Sauce für den Gurkensalat. Diese Einsicht, dieses Vertrauen ist für viele schon revolutionär.

Aber wann kommt der Tag X, die Revolution? Vielleicht, meint Marie Theres Kroetz-Relin, "kommt irgendwann der Tag eines fetten Hausfrauenstreiks, um zu zeigen, was fehlt, wenn wir fehlen". Doch ihr Ziel ist der Weg, das Hausfrauen sich zu helfen wissen.
Und die Politik? Keine Forderungen an sie? Kein Ultimatum vor dem großen Aufstand? Die Verlängerung der anerkannten Erziehungszeit, ein festes Gehalt, eine Rente wären eine wahre Revolution. "Das kann der Staat nicht zahlen", räumt die Revoluzzerin ein: "Aber die Hausfrauen sollten sich absichern und so früh es geht Minibeiträge in eine Versicherung einzahlen, damit sie später zumindest eine Ausbildung machen können." Und doch etwas Politik: "Damit jeder weiß, worum es geht, sollten Politiker von Kindern statt von Humankapital und von Familie statt von Humanvermögen sprechen."

Revolution! Mit Männern sei die wohl leichter zu machen, ahnt Marie Theres Kroetz-Relin. Frauen, zumindest die revolutionären, wollten alles selbst und immer besser als alle anderen machen. Das Neidpotenzial sei größer. Damit sie sich nicht verkämpfen, die Kämpfenden, hält ihre Wortführerin mit Humor dagegen. Ohne das Augenzwinkern wirkt unser Anliegen allzu stutenbissig, sagt sie. Drum wählte sie das Hausschwein als Logo der Hausfrauenrevolution aus: Weil es so viele Gemeinsamkeiten zur Hausfrau gebe: "Das Hausschwein ist hochintelligent und zugleich unterschätzt. Es ist reinlich, aber gezwungen, im Saustall zu leben." Und Augenzwinkern kann es bald auch. Revolution!



Mit freundlicher Genehmigung Stuttgarter Nachrichten www.stuttgarter-nachrichten.de