Ist Armut weiblich? Interview von Tanya Munsche mit Evi Vass und Anja Jesinger erschienen in der Bild der Frau am 14.Juni 2004 Essen, Miete, Kinderkleidung: Auch Evi Vass (42) weiß oft nicht, wie sie das alles bezahlen soll. Dabei hat sie genau das getan, was Politiker immer fordern: Sie geht mutig den Schritt in die Selbstständigkeit, arbeitet 15 Jahre lang als Fotolabortechnikerin. Schließt eine Lebensversicherung für den Ruhestand ab. Und bekommt dann eine Tochter (heute 4). Ein durchschnittlicher Lebenslauf. Und ein ganz schneller Weg in die Armut. "Denn als allein Erziehende kann ich weder weiter selbstständig arbeiten", sagt die Mutter aus Prien am Chiemsee "noch finde ich einen richtigen Job. Unter anderem wegen der fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für meine Tochter." Evi Vass verdient als Bürohilfe etwas nebenbei. "Aber das Geld reicht vorne und hinten nicht." Vor zwei Jahren beantragt sie Sozialhilfe. "Die wurde abgelehnt. Weil ich eine Lebensversicherung habe. Das Amt verlangt von mir, sie zu kündigen und davon zu leben." Evi Vass will sich so lang wie möglich dagegen wehren. "Wenn ich die Versicherung auflöse, brauche ich mit Sicherheit im Alter Sozialhilfe." Denn gesetzliche Rentenansprüche hat sie bisher nicht viel. "Und mit Halbtags-Jobs kann ich auch nicht viel ansparen. Es wäre doch viel logischer, mich jetzt drei, vier Jahre zu unterstützen, damit ich im Alter von meinem eigenen Geld leben kann. Alles andere ist der totale Irrsinn." Besonders ungerecht findet sie: "Wenn ich das Versicherungsgeld verspielt oder verjuxt hätte, würde ich sofort Sozialhilfe bekommen." Bis vor einem Jahr bekam Evi Vass immerhin Wohngeld und Erziehungsgeld. "Nach dem Ende der Erziehungszeit wurde mir jetzt beides gestrichen." Evi Vass und ihre Tochter haben etwa 800 Euro zur Verfügung. "Da ist schon die Unterstützung durch meine Mutter mit eingerechnet." Allein ihre Miete beträgt 500 Euro. "Ich suche etwas Günstigeres, auch gern eine Wohngemeinschaft, aber hier in der Gegend gibt es einfach nichts." Evi Vass war einmal eine gut verdienende Frau. Dass sie heute am Existenzminimum lebt, ist keine Seltenheit. "Die Armut nimmt zu und trifft immer häufiger auch Mittelständler", bestätigt Hanne Schweitzer vom "Büro gegen Altersdiskriminierung" in Köln. Diese Erfahrung hat auch Anja Jesinger (40) aus Remshalden (bei Stuttgart) gemacht. Die allein erziehende Mutter von zwei Töchtern (15 und 17) hat als Regie-Assistentin am Theater gearbeitet, als Weberin und Landschaftsgärtnerin. "Ich kam immer irgendwie klar." Als sie eine Festanstellung findet, freut sie sich. "Ich hatte meinen Traumjob gefunden: Umzugs-Managerin. Als Führungskraft war ich für alles zuständig: Planung der Umzüge, Organisation, Betreuung der Mitarbeiter." Anja Jesinger bringt ihre Lebens- und Berufserfahrung mit in diesen Job. Aber sie passt in keinen Tarifvertrag. "Der Chef konnte mich nicht einordnen, weil sie noch nie eine Frau auf dieser Stelle hatten", erzählt sie. "Also blieb ihm nur, mich als kaufmännische Aushilfe einzustellen." Anja sagt zu, erhofft sich, durch ihren Einsatz schnell etwas mehr zu verdienen. "Aber es geschah nichts. Ich bekam 1000 Euro netto. Für mehr als vierzehn Stunden täglich. Und die männlichen Kollegen, deren Vorgesetzte ich war, verdienten zwei Drittel mehr. Diese Ungleichbehandlung bei den Gehältern ist doch ein Skandal!" Und zwar ein ganz alltäglicher. "Im Schnitt verdienen Frauen immer noch 25 % weniger als Männer", sagt Henny Engels (54) vom Deutschen Frauenrat (s. Kasten). Nach einigen Monaten kündigt Anja. Und spürt die Auswirkungen der Wirtschaftskrise. "Heute ist es viel schwieriger eine Familie, zu ernähren als noch vor drei Jahren. Es gibt einfach keine Jobs, vor allem für Mütter nicht. Ich habe wirklich Angst vor der Zukunft." Mit freundlicher Genehmigung von Bild der Frau |
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