Eine weitere Shortstory von Franz Xaver Kroetz aus Blut und Bier, geschenkt zum 11. Hochzeitstag am 5. März 2003 . (Die Story wurde vor 11 1/2 Jahren geschrieben ) Ein guter Satz. nicht auf dem Papier, aber im Kopf sah der Satz wirklich gut aus. Er wollte ihn endlich hinschreiben, aber die menschlichen Bedürfnisse gehen vor , und die Kleine hatte schon zweimal aus dem Bad gerufen : Papa , ich hab Gacka gemacht ! Er mußte ihr jetzt schnell den Arsch wischen,sonst tat sie es selber, und das war weder für ihren Arsch , noch fürs Klo gut. Sie brauchte dann Unmengen Papier,das Klo war verstopft und der Hintern verschmiert. Außerdem wars irgendwie auch ein Vergnügen , den straffen kleinen Arsch zu putzen. Es war der einzige , der noch straff war in der Familie. Der vom Baby war zu speckig und der von seiner Frau hatte unterm Kinderkriegen mehr gelitten als der Bauch. Und von seinem wollte er nicht reden . Also putzte er den verdammten Hintern, gab ihm ein paar drauf, sagte : Fertig , drückte die Klospülung und das wars. Als er wieder ins Zimmer kam , sagte seine Frau lesend vom Bett aus : Wenn sie achtzehn ist , putzt du ihr immer noch den Arsch , oder ? Nur kein Streit dachte er , nur das nicht . Streit ist das schlimmste , noch dazu in einem Hotelzimmer , wo man sich nicht aus dem Weg gehen kann, hier in Singapur , wo man sowieso nicht gehen kann, wos überall so ausschaut wie im Uni - Viertel Augsburg , wo ne Dose Billigbier OHNE Glas umgerechnet sieben Mark kostet , wo - von dem guten Satz ganz zu schweigen. Streit tötet gute Sätze. Ich putz ihn ihr noch ein paar Tage und dann machen wir den Übergang zum do it yourself , sagte er betont ruhig und mit dem Unterton des versöhnlichen Witzes . Das will ich erst sehen , sagte seine Frau. Mein Gott du blöde Donnerfotze , dachte er und sagte : Wirst du sehen ! Sie las weiter. Er setzte sich an die Schreibmaschine , die Kleine war noch im Bad , sie legte Wert darauf , nach dem Scheißen sich stundenlang die Hände zu waschen , obwohl er ihr den Arsch putzte und er sich nicht gewaschen hatte , um Zeit für den guten Satz zu sparen. Dem guten Satz fehlte plötzlich mittendrin ein Wort. Also er hatte schon eins , aber vorher hatte er ein besseres gehabt. Er saß da und dachte nach. Tu doch nicht so , als wenn du jetzt schreiben würdest , komm lieber her und laß uns schmusen , sagte seine Frau , der Dostojewsky ist zwar gut ( sie las die Aufzeichnungen aus dem Kellerloch ) , aber du bist auch nicht schlecht . Ich schreib bloß einen guten Satz , sagte er , einen bloß,dann komm ich. Ist er wirklich gut ? Jaja, er ist nicht schlecht. Aus dem Bad kamen sonderbare , beunruhigende Töne. Es läuft nicht ab , krähte die Kleine. Er rannte . Bei solchen Vorfällen mußte man schnell sein. Es lief wirklich nicht ab. Das Waschbecken ist verstopft. Hast Du was reingeschmissen ? Nein. Dann wars schon verstopft. Ja. Es lief über. Dann benützen wir es jetzt nicht mehr,über Nacht läuft das Wasser ab und dann rufen wir jemanden vom Hotel. Aber meine Schwimmpuppe muß ihr Fitnessprogramm einhalten und morgens UND abends ein paar Runden schwimmen, damit sie einen glatten Bauch hat . Dann laß die Schwimmpuppe heute mal durchs Hotelzimmer joggen, das geht auch. Die Schwimmpuppe schwimmt und joggt nicht , sagte die Kleine mit einer solchen Verachtung in der Stimme, als hätte er die Simpsons mit den Feuersteins verwechselt . Inzwischen schrie das Baby. Seine Frau sagte : Die hat seit zwei Tagen nicht geschissen , ich glaub , ich mach ihr mal nen Babyeinlauf,der kann nix schaden. Halt sie mal nen Moment, ich muß erst den Medikamentbeutel finden . Er ging ins Zimmer , nahm das Baby und trugs hin und her . Es schrie , dann hörte es auf ,schliefs in seinem Arm ein. Es hatte einfach keine Lust darauf zu warten, bis seine Mutter endlich den Einlauf gefunden hatte. Soll ich ihn jetzt noch geben oder soll ichs schlafen lassen? fragte sie ihn,als sie den Einlauf nach ner Viertelstunde gefunden hatte. Steck ihn Dir selber rein,dachte er und sagte : Ich glaube, jetzt schläfts wieder,lassen wirs. Aus dem Bad kamen immer Wassergeräusche. Wie wärs , sagte er , wenn du die Kleine ins Bett bringen würdest,bevor sie das ganze Hotel unter Wasser setzt. Es ist halb zwölf. Warst Du jetzt mit ihr im Bad oder ich? fragte seine Frau. Wenn an einer dieser Wände ein Nagel wäre würd' ich dich dranhängen , dachte er und sagte : Jetzt sei doch nicht so,ich will doch nur einen Satz schreiben, davon leben wir doch schließlich. Schön wärs, wenn wir von einem Satz von Dir leben könnten ! Na ja, sagte er , aber doch von meiner im Laufe meines Lebens entstandenen Literatur. Davon leben wir doch . Leben vielleicht, aber nicht gut , sagte sie. Na ja, von den anderthalb Fernsehauftritten, die du in den letzten fünf Jahren hattest leben wir jedenfalls nicht , dachte er und sagte nichts. Sie ging ins Bad,haute der Kleinen eine runter, was er schon hätte tun sollen (rief sie ihm aus dem Bad zu ), die Kleine weinte, war dadurch geschwächt, leistete kaum Widerstand und war im Bett. Flaschi waren ihre letzten Worte. Seine Frau machte aus Trockenmilch,Kakaopulver und Trinkwasser ein Flaschi und gab's der Kleinen. Sie trank es aus und sagte : Ich muss Pipi . Sie ging wieder ins Bad, seine Frau las wieder D. und er saß wieder an seiner Schreibmaschine. Der Satz war immer noch da; er atmete unruhig und würgte. Der Satz war inzwischen so schlecht, daß er keine irdische Hülle in Form von Buchstaben annehmen wollte. Er mußte auch nicht, das Baby wachte wieder auf und schrie. Jetzt kriegts aber den Einlauf , sagte seine Frau, halts mal Wieder hatte er ein Arschloch vor sich. Er hielts. Mit ein bißchen Penatencreme eingeschmiert flutschte der Einlauf rein und das Baby grinste ! Sind ganz schön sensibel die kleinen Dingerchen dachte er. Babysex! neidvoll dachte er daran, daß im letzten Jahr ein Kollege von ihm mit so nem Text wie Ich ficke Babies oder so ähnlich nen Riesenerfolg hatte. Trags ein paar Minuten hin und her , sagte seine Frau, der Einlauf muß erst wirken Er trugs hin und her. Wo isn der Topf? fragte seine Frau. Weiß ich nicht , sagte er. Der stand doch grad noch da , sagte seine Frau. Ja? sagte er. Mein Gott,wo is denn der, verdammt nochmal. Sie kroch unters Bett. Da is er: Das Baby grinste seinen Vater an. Dann sah es sehr philosophisch aus, schien in sich gekehrt, öffnete Äuglein und Mündchen ganz weit, strahlte und schiss seinem Vater einen schönen, kleinen, dicken Haufen auf den Arm. Seine Frau stand mit dem Topf , den sie endlich unterm Bett rausgeholt hatte,da und sagte : Gott sei Dank, endlich! Mein armes Puppi, so ein großes Wurschti und nicht rauskriegen. Sie nahm ihm das Baby ab und küßte es. Er nahm die Wurscht von seinem Arm und ging damit ins Klo. Schmiß sie rein, zog die Jogginghose aus,(er schrieb am liebsten in einer weiten,den Körper nicht belastenden Schlapperhose), weil nach dem Wurschti noch ein paar Spritzer Scheiße auf das Hosi gegangen waren, putzte alles ab und wusch die Flecken am überlaufenden Waschbecken raus, musste selber pissen, tat es, dachte während der angenehmen Entleerung daran, daß eine Dose Billigbier sieben Mark kostete, verzichtete darauf, sich zu ärgern und wollte sich wieder dem satz zuwenden. Er ging ins Zimmer zurück. Die Kleine schlief. Das Baby war an der Brust seiner schönen Mutter und nuckelte zufrieden vor sich hin. Diese las und war auch zufrieden. Er setzte sich an die Schreibmaschine. Wenn ich vorher - poetisch etwas windschief - davon sprach, daß seinem guten Satz schlecht geworden war, so habe ich doch nur wenig übertrieben. Der Satz war, nachdem er sich ausgekotzt hatte, auf dem Weg der Selbstauflösung. Diese war inzwischen abgeschlossen. Es war kein guter Satz mehr da, den er hätte hinschreiben können. Der gute Satz war weg. Er begann seine Schreibmaschine zu putzen, mit nem Tempotaschentuch, das er anspuckte und damit die Tasten säuberte. So ne kleine Reiseschreibmaschine kriegt unheimlich viel ab.Und man konnte kaum was besseres mit ihr tun, als sie putzen, sofern man nicht auf ihr schrieb. Er putzte ziemlich lang und intensiv. Und die kleine Reiseschreibmaschine wurde ganz neu und strahlend. Er hatte auch viel Zeit. Es war ziemlich still. Mindestens ne Viertelstunde lang. Copyright by Franz Xaver Kroetz Dramatik |
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